Als es in den 1980ern bei Disney nicht besonders lief, ließ sich das Studio unter Leitung von Jeffrey Katzenberg auf ein finanzielles Wagnis ein und initiierte einen Musical-Animationsfilm in der Tradition des 1937er Disney-Klassikers „Schneewittchen“. Der Aufwand hat sich gelohnt, zumal Katzenberg die für diesen Film kompetentesten Mitarbeiter versammelt hatte. ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU (1989) wurde ein glänzender Erfolg, der mit 2 Oscars, für den besten Song („Under the Sea“) und für die Filmmusik insgesamt, einem Grammy und zwei Golden Globes gefeiert wurde. Die sogenannte Disney-Renaissance hatte begonnen, die erfolgreichste Ära des Zeichentricks überhaupt.
Besonders für die Musik hatte sich mit Howard Ashman und Alan Menken ein Erfolgsteam formiert, dass auch den dann folgenden abendfüllenden Disney-Animationsfilmen (DIE SCHÖNE UND DAS BIEST, 1991 und ALADDIN, 1992), den angemessenen musikalischen Rahmen lieferte. Alan Menken erhielt für seine Arbeiten insgesamt 8 Oscars. Und nun wurde er auch für die Arielle-Realverfilmung unter Regie von Rob Marshall (CHICAGO, 2002) engagiert.

Der Arielle-Zeichentrickfilm war der Beginn der so genannten Disney-Renaissance, deren integraler Part Sie waren. Wie war es, jetzt, mehr als 30 Jahre später, wieder zurück zu ihrer eigenen Arbeit zu kommen?
Alan Menken:
„Nun, ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, immer wieder zurückzu-kehren. Zuerst vom Zeichentrickfilm zur Bühne und dann zum Live-Action-Film. Und, wissen Sie, ich musste so oft zu meinem Material zurückkehren, und ich sehe das immer mit großer Begeisterung – es ist eine Ehre! Es ist so aufregend zu wissen, dass die Leute wirklich an den Melodien hängen. Für mich stellt sich die Frage, wie wir ihnen neues Leben einhauchen können. Und vieles wird davon abhängen, mit wem wir zusammenarbeiten und wer der Regisseur ist. Im Falle dieser Adaption war es sehr wichtig zu wissen, dass Rob Marshall Regie führt, denn ich wollte schon so lange mit ihm zusammenarbeiten.
Doch es ist auch traurig, dass ich etwas nehme, das ich gemeinsam mit Howard Ashman geschrieben habe, der jetzt nicht mehr unter uns ist und so bleibt immer diese Frage, dass ich nie wissen werde, wie es Howard heute gemacht hätte.“
Andersen-Märchen lieferten schon den unterschiedlichsten Filmen eine dramatisch kraftvolle und poetische Basis, und so war die KLEINE MEERJUNGFRAU mit Sicherheit die richtige Wahl.
Hans Christian Andersen, der sein Leben lang eine sensible Scheu vor Frauen und zugleich eine tiefe Sehnsucht nach Liebe pflegte, ist seiner Meerjungfrau und ihrem Sehnen nach Liebe vielleicht autobiographisch besonders nahe…
Apropos, die Anfänge all dieser vielen Andersen-Kunstmärchen sind immer besonders schön – so auch in diesem Fall:
„Weit draußen im Meere ist das Wasser so blau wie die Blüten der schönsten Kornblume und so klar wie das reinste Glas; aber es ist dort außerordentlich tief, tiefer, als irgend ein Ankertau reicht, und es müssten viele Kirchtürme aufeinander gestellt werden, um vom Grunde über das Wasser empor zu reichen. Dort unten wohnt das Meervolk. Nun muss man aber nicht etwa denken, es sei dort unten nur der nackte weiße Sandboden, durchaus nicht…“
Hans Christian Andersens Angebot für die Filmemacher ist mithin nicht zu übersehen.
Frage an Regisseur Rob Marshall: Das 1989er Zeichentrick-Original ist eines dieser raren Beispiele eines perfekten Films. Was also hat Sie gereizt, eine neue, eine Realfilm-Version zu drehen?
Rob Marshall:
„Wenn man mit Realfilm arbeitet, ist das ein ganz anderes Genre als ein Animationsfilm. Animationsfilme haben ihre ganz bestimmte konzeptionelle Herangehensweise. Arbeitet man aber mit echten Menschen an echten Orten muss man das natürlich neu erfinden.
Ich habe noch nie so ein Remake gemacht. Die einzige Möglichkeit, wie ich an die Sache herangehen konnte, war also eine Neuinterpretation von Anfang an. Und das war sehr befreiend!
Ich griff auf das Originalmärchen von Hans Christian Andersen zurück, was sehr hilfreich war, weil ich sofort sah, dass es eine sehr moderne Geschichte ist. Sie kam mir zeitgemäß vor, denn obwohl sie fast 200 Jahre alt ist, geht es um ein junges Mädchen, das sich nicht zugehörig fühlt und sich mit viel Leidenschaft und Kraft auf die Reise begibt, um zu beweisen, dass diese Menschen auf der anderen Seite der Oberfläche keine schlechten Wesen sind. Sie lernt, die Vorurteile zwischen den beiden Welten abzubauen und eine Brücke zu schlagen. Und ich fand, dass das in unserer heutigen Welt, die in gewisser Weise immer gespaltener wird, sehr aktuell ist.“
Aber genau darum fühlten sich die einschlägigen Rechtsaußen Amerikas sofort provoziert und monierten lautstark, dass eine Meerjungfrau keinesfalls von einer farbigen Schauspielerin gespielt werden dürfe. Weil sie natürlich aus erster Hand wissen, wie so eine „Mermaid“ aussieht. Sie wurde dennoch erfolgreich von der sehenswerten und sangesfreudigen afro-amerikanischen Aktrice Halle Bailey über und unter Wasser verkörpert.
Rob Marshall:
„Außerdem kann man bei einer Live-Action-Produktion die Dinge vielleicht sogar vertiefen und die Themen, aber auch die Handlungsstränge erweitern. Man hat zum Beispiel die Möglichkeit, die Figur des Erik, der im Originalfilm eher zweidimensional ist, weiterzuentwickeln. Es gibt eine vollständige Geschichte für ihn, und er hat einen ähnlichen Werdegang wie Arielle. Das sind also Dinge, die man tun kann. Außerdem haben wir natürlich auch neue Songs geschrieben. Erik hatte bisher nie ein Lied. Ariel hatte nur ein Lied im Zeichentrickfilm, also haben wir ihr einen weiteren Song gegeben.“
Alan Menken:
„ARIELLE war meine erste Filmmusik. Und sie war sehr einfach und naiv. Die Songs waren gefühlsbetont. Außerdem kamen wir gerade von unserem Off-Broadway-Stück „Der kleine Horrorladen“, es steckte also noch eine Menge Spaß und Leidenschaft darin. Aber es war auch ein bisschen fragil. Rob Marshall hat sich dem angenommen, es in diesen großen Live-Action-Film eingebettet und wir haben es so angepasst, dass es wieder frisch und neu wirkt. Und da ist es, weiterentwickelt…“
Und wo kommen diese unvergesslichen Melodien eigentlich her?
Alan Menken:
„Die beste Erklärung, die ich geben kann, ist, dass sie von den Figuren und von der Geschichte kommen und mich irgendwie erreichen. Man kann nur nicht wirklich sagen, wie die Ideen zustande kommen. Aber ich glaube auch, dass es zum Teil von der Bereitschaft kommt, eine Idee auszuprobieren, eine andere auszuprobieren, und sich dann fragt: Ist dieses besser oder ist jenes besser? Und dann einfach machen, bis man fühlt: Oh, oh, das ist es! Ich höre da auf mein Bauchgefühl.“
Nun wird zwar gesagt, dies sei eine „Live-Action-Adaption“ des klassischen Trickfilms – also ein Realfilm – doch es gibt wahrscheinlich keine Schauspieler, die tatsächlich Unterwasser auch singen können, und Krabben und Fische mit Schauspielfähigkeiten. Wie hat man das am Ende doch unwirkliche Märchenmilieu so real gestaltet?
Rob Marshall:
„Es gibt natürlich Elemente, die sehr stark von visuellen Effekten geprägt sind. Aber das Ziel war es auch, dass sich das so echt wie möglich anfühlt, wenn z.B. die Haare, jede einzelne Haarsträhne, unter Wasser hinzugefügt wird, das Wasser hinzugefügt wird, die Hintergründe hinzugefügt werden. Wir arbeiten wirklich hart daran, dass es sich wahrhaftig und real anfühlt, sogar fotoreal. Es gibt verschiedene computeranimierte Kreaturen, die sollten einer echten Krabbe, einem echten Fisch, einem echten Vogel nachempfunden sein. Das ist wichtig, weil wir dem Zuschauer den Eindruck vermitteln wollten, dass das alles greifbar und real ist. Ich meine, Musicals sind so kompliziert! Wenn jemand aus einer Szene heraustritt und zu singen beginnt, dann muss das irgendwie angemessen wirken. Es muss sich nahtlos in die Erzählung einfügen. Es darf nicht aufgesetzt sein. Wenn man also Figuren wie die Krabbe Sebastian erschafft, muss man an diese Figur glauben, und wenn er zu singen beginnt, muss sich das natürlich anfühlen.
Selbst in unserer Fantasiewelt muss es eine Wahrheit geben. Und das ist, glaube ich, eines der Schlüsselelemente für mich.“
Arielle, die Meerjungfrau ist auf jeden Fall sehenswert – egal ob nun klassisch als Zeichtrickfilm oder in seiner neuen Fassung. Welcher Version man den Vorzug gibt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Auf Disney+ kann man beide Filme ab sofort sehen und ab 13. Oktober gibt es die Neuverfilmung auch auf Blu-ray und DVD.
Zwei Leser des Barnim | Journals haben die Chance die Blu-ray zu gewinnen!
(ggf. anders formulieren und Bild von Blu-ray-Cover dazu – evtl. anstelle des Posters)