Das muss man Steven Spielberg lassen, er hat kaum ein Genre ausgelassen, um dessen filmische Gestaltungsoptionen erfolgreich auszureizen. So auch diese merkwürdige Abenteuer-Mixtur, gleichermaßen für Kinder wie Erwachsene, angereichert mit Exotik und spiritueller Phantastik, erinnernd an die überaus populären Buchserien des frühen 20. Jahrhunderts, mit denen z.B. Vielschreiber H. Rider Haggard (1856-1925) für seine Quatermain-Geschichten Leserscharen sammelte. INDIANA JONES ist so etwas wie eine raffinierte Version von Haggards Superhero Quatermain, der sich ebenfalls in exotischen Milieus effektvoll mit geheimnisvollen Landkarten und legendären Schätzen herumschlägt. Auch Dr. Jones hat diese gleichermaßen naive wie faszinierende Persönlichkeit, und er ist, wie man weiß, Archäologe, was ihn a priori mit verschollenen Schätzen vernetzt. Das wiederum vor allem jugendlichen Zuschauern eine Sehnsucht nach verborgenen Schätzen und den am Ende unvermeidlichen Sieg über gesellschaftliche Monster imaginiert.

Dennoch ist es erstaunlich, dass ein quasi nostalgisches Genre sich so erfolgreich dank George Lucas und Steven Spielberg in der Filmgeschichte etabliert hat.
Harrison Ford:
„Als ich das Drehbuch des ersten Teiles las, verstand ich, dass es auf den Erfahrungen basierte, die George und Steven mit solchen Samstagsmatineen gemacht hatten, die in Amerika damals besonders beliebt waren. Das waren Kurzfilme, meist Western, immer mit einem Cliffhanger am Ende. Es waren solche B-Movie-Serien, auf denen Indiana Jones basierte.“
Und wie wurde Indiana Jones dann selbst zur Filmgeschichte?
Harrison Ford:
„Nun, das kommt gelegentlich vor, denke ich.“
Einwurf seiner Filmpartnerin Phoebe Waller-Bridge:
„Wenn du eine Rolle spielst, ja!“
Harrison Ford:
„Nein… Ich glaube, wir kamen zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, als die Filmindustrie in den Vereinigten Staaten sehr stark war. Es gab eine Art intensiver Verbindung zwischen unserer Kultur und dem, wovon die Filme handelten. Indiana Jones passte da perfekt rein, und es war aufregend das mitzuerleben.“
1981 rettet Indy als JÄGER DES VERLORENERN SCHATZES die sagenhafte Bundeslade vor der Inkarnation des Bösen, den Nazis. Er forscht in späteren Folgen u.a. im indischen Milieu nach kinotauglichen mythischen Schätzen oder sucht den Heiligen Gral – darunter macht es einfach nicht!
Jetzt steht also nach längerer Pause mit INDIANA JONES UND DAS RAD DES SCHICKSALS der 5. (und vermutlich letzte) Film der Reihe ins Haus, den Spielberg allerdings seinem Regiekollegen James Mangold (WALK THE LINE) übergeben hat, um nach seinen Worten „Platz zu machen für eine neue Generation, die ihre Perspektive der Geschichte einbringen soll“.
Der Film geht gleich knallhart los. Es ist 1944 und Indy schleicht sich in eine Nazi-Burg, wo für das spießige Gemüt der Führer-Clique geraubte Kunstschätze und mystische Reliquien aus aller Welt für den Abtransport nach Berlin vorbereitet werden. Allein Göring raffte für sein Refugium Karinhall über 4000 Kunstwerke von Cranach, Rubens bis Van Gogh…
Dr. Jones – in diesem turbulenten Auftakt mit Hilfe digitaler Effekte verblüffend verjüngt – schlägt sich im Wortsinne handfest im und auf dem Transportzug der Wehrmacht durch. Er ist auf der Suche nach dem Rad des Schicksals, irgendeinem kryptischen Ding aus dem Archimedes-Nachlass, auf das natürlich auch die Nazibande, mit Mads Mikkelsen (DER RAUSCH) als Physiker Dr. Jürgen Voller an der Spitze, besonders scharf ist. Es kommt also sofort zu einer vehementen Verfolgungsjagd, wobei auffällt, wie sehr die Filmkunst spätestens seit Buster Keatons THE GENERAL (1926) die Eisenbahn als Actionbühne besonders liebt.
Mads Mikkelsen:
„Es ist filmisch – Züge sind überaus filmisch…
Wir hatten diesen riesigen Zug, den sie im Studio gebaut haben, und dann gab es noch einen echten Zug für die Außenaufnahmen. Es war sehr schwierig, den Überblick über die Szene zu behalten, weil viele Dinge über einen Zeitraum von 15 Minuten passieren. Wir mussten also ständig auf das Storyboard schauen, um herauszufinden: Okay, jetzt ist das Dach ab und das bedeutet, ich habe meinen Koffer verloren und Indy befindet sich ist dort…
Ein wirklich sehr großes Puzzle.“
Mads Mikkelsen spielt einen dieser fiesen und umtriebigen Naziwissenschaftler, die auch nach dem Krieg immer wieder zum Zuge kamen. Einen Nazi in Indiana Jones spielen zu dürfen, ist vielleicht ein totales Klischee und zugleich eine große Ehre?
Mads Mikkelsen:
„Das ist eine sehr große Ehre, finde ich!
Heutzutage gehören Nazis eigentlich nur noch in Indiana-Jones-Filme, sie sind der böse Teil davon.
Sie haben sogar ihren eigenen Sound. Wenn Indy andere verprügelt, klingt es nicht so als wenn er Nazis verprügelt. Die haben ihren speziellen Sound. Also habe ich auch diesen Sound, wenn er mir ins Gesicht schlägt.
Dr. Jürgen Voller ist Wissenschaftler in den Vierzigern in Deutschland. Das bedeutet natürlich, dass er Teil der Partei ist. Aber die ist nicht seine größte Liebesgeschichte – das ist die Wissenschaft! Als sich ihm jedoch Möglichkeiten öffnen, wächst ihm auch die Partei ans Herz. Er ist also ein komplexer Charakter. Wir wissen, wer diese Typen sind. Er basiert auf realen Menschen.
Was damals passiert ist, war offensichtlich ein finsterer Teil der Welt-geschichte und offensichtlich ein wichtiger Teil eurer Geschichte. Ja, wir müssen uns immer daran erinnern, dass etwas nicht stimmt, wenn eine Gruppe von Menschen eine andere Gruppe von Menschen zum Schweigen bringen will.“
Ist es nicht ein wenig surreal, wenn man Harrison Ford gegenübersteht, er trägt dieses ikonische Outfit, und wahrscheinlich wird er einen irgendwann eliminieren?
Mads Mikkelsen:
„Ja, es ist genau so wie du sagst…
Es ist extrem surreal. Ich bin mit dieser Filmreihe aufgewachsen, wie wir alle als Kinder. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich Schauspieler werde und in einem Indiana-Jones-Film mitspielen würde. Also absolut surreal!“
Und wie erklärt sich dieser anhaltende Erfolg dieser irgendwie „Old-Fashion“-Filme?
Mads Mikkelsen:
„Es ist offensichtlich Spielberg und seine Vorstellungskraft, kombiniert mit Harrisons Talent und seinem Charme. Ich meine, ohne Harrisons Charme wäre es nie ein Indiana-Jones-Film geworden.“
Schließlich ein Zeitsprung: Indy durfte in Würde altern – es sind die späten 1960er – zur Ruhe allerdings wird er auch als frischgebackener Rentner nicht kommen. Die Nazis (Mikkelsens Dr. Voller inzwischen als “geläuterter” Mitarbeiter am amerikanischen Mond-Projekt) agieren im Geheimen unverdrossen weiter – das allerdings kennen wir fatalerweise auch hierzulande.
Natürlich gibt es wieder furios arrangierte Verfolgungsjagden, bei denen Indiana Jones schließlich während einer Astronautenparade in New York auf einem Polizeipferd erst durch die Menschenmenge und dann durch die U-Bahntunnel galoppiert. Und es gibt diese junge Frau, die Tochter eines alten Indy-Freundes, die auch auf das archäologische Fundstück scharf ist. Gespielt wird sie von Phoebe Waller-Bridge (FLEABAG). Sie schlägt sich so handfest wie souverän als Action-Partnerin des bejahrten Indiana Jones und ist sich der Konkurrenz mit einem Superstar zweifellos bewusst.
Phoebe Waller-Bridge:
„Ich glaube, wir haben den ganzen Film hindurch etwa 9 Monate lang jeden Tag zusammen gedreht. Und das Spannende ist, dass beide Charaktere wirklich gleichwertig gestaltet sind, dass sie perfekt zueinander passen. Ich musste mich also wirklich anstrengen, um mit Harrison mithalten zu können, selbst als wir von Felswänden hingen oder von fahrenden Tuk Tuks (kleine dreirädrige Motorrikschas) sprangen. Ich hatte am Ende des Tages immer ziemliche Schmerzen, während Harrison immer noch mit dem Fahrrad nach Hause gefahren ist.“
Harrison Ford:
„Nein, ich war am Ende des Tages immer noch alt, während du dich durch die Menge an Energie und Leidenschaft, die du in deine Actionsequenzen gesteckt hast, ausgezeichnet hast.
Ich denke, es ist ein Geben und Nehmen: Ich gebe und sie nimmt.“
Phoebe Waller-Bridge:
„Ganz genau!“
Harrison Ford:
„Wir hatten viel Spaß!
Mir scheint, der Erfolg der Figur, die ich spiele – INDIANA JONES – beruht auf den Beziehungen, die er mit den anderen Charakteren hat. Und ich glaube, wir hatten hier eine sehr gute Chemie. Die Figur, die sie für Phoebe erfunden haben und die Beziehung, die ich zu ihr habe, ist einzigartig in dieser Serie.“
Stoff dafür haben sich die Autoren und der Regisseur jede Menge einfallen lassen. Ein rasantes Rennen zwischen den PKWs der Naziverfolger und einem Tuk Tuk (groß gegen klein!), dem die engen Gassen von Marrakesch deutlich besser liegen als den dafür viel zu breiten Straßenkreuzern. Außerdem gibt es eine Unterwasserpassage mit unheimlichem Getier und ein Finale, das in gespenstischen griechischen Höhlen seinen Lauf nimmt. Tröstlich aber ist, dass am Ende auch der letzte Film-Nazi angemessen entsorgt wird.
Die Filmemacher haben, trotz gelegentlicher Längen, die Sache immer souverän durchgezogen. So bleibt dieser letzte Indiana Jones ein Film, bei dem man sich ohne Anstrengung zurücklehnen und den man (frei vom unvermeidlichem Nerd-Gejammer) gutgelaunt genießen kann.