Wie hatte man gehofft, dass nach diesem verrückten herausfordernden 2020 nun in diesem Jahr alles wenigstens ein bisschen besser wird und das Leben wieder mehr in den gewohnten Bahnen verlaufen kann. Wenn man sich nur ein Jahr zurückdenkt in den milden Winter 2020, kommt einem das mit heutigen Augen schon fast unwirklich vor. Corona war etwas, das noch ziemlich weit weg schien, auch wenn die Regierung begann, einen Krisenstab einzurichten. Man dachte darüber nach, wo man in den Winterferien genügend Schnee für einen Ski- und Rodelurlaub finden konnte. In seiner ersten Bundesligasaison spielte der 1. FC Union bis Anfang März regelmäßig vor ausverkauftem Haus.
Doch Corona wirbelt unser Leben auch in diesem Jahr weiter durcheinander. Viele Menschen können ihrem Job nicht oder nur eingeschränkt nachgehen, kleine und mittlere Unternehmerinnen und Unternehmer und ihre beschäftigten, vor allem in der Gastronomie, im Tourismus, im Veranstaltungswesen, in der Freizeitbranche kämpfen um ihr Überleben. Es ist höchste Zeit, dass Bund und Länder Konzepte entwickeln, wie wir zu einer die Grundrechte respektierenden und soziales Leben ermöglichenden Langfriststrategie beim Umgang mit dem Virus kommen. Selbstverständlich müssen alle Notmaßnahmen vollständig außer Kraft und alle Grundrechte ohne Ausnahme wieder hergestellt werden, sobald es die pandemische Situation erlaubt.
Soloselbständige, Freiberuflerinnen und Freiberufler vor allem in Kunst und Kultur brauchen eine andere, umfassendere soziale Absicherung als bisher. Der Sozialstaat muss auch zu ihnen kommen. Dass Bund und Länder im Interesse der Allgemeinheit diesen Millionen Betroffenen die Berufsausübung einerseits untersagen und sie dann andererseits auf Hartz IV verweisen, ist nicht hinnehmbar. Selbstverständlich müssen die Einnahmeverluste zumindest teilweise von der Allgemeinheit, also aus Steuermitteln aufgefangen werden und nicht nur die klar getrennten Betriebskosten, wie es bis Oktober geregelt war. In Berlin und Thüringen wurde dies teilweise aus Landesmitteln aufgefangen. Aber die Länder können nicht den Ausputzer für eine falsche Bundespolitik spielen. Wir brauchen eine Art Kurzarbeitergeld für Selbständige, jetzt finanziert aus Steuermitteln, später, indem die Arbeitslosenkasse für Selbständige geöffnet wird. November- und Dezemberhilfe waren dafür ein Anfang, doch der damit verbundene bürokratische Aufwand und die teilweise sehr zögerliche Auszahlung lassen daran zweifeln, ob die Bundesregierung den Ernst des Problems wirklich erkannt hat.
Ohne Zweifel hat die Corona-Pandemie noch einmal vor Augen geführt, wie wenig der Kapitalismus insbesondere in seiner derzeitigen neoliberalen Ausprägung in der Lage ist, solche Krisen sozial gerecht zu meistern. Im Gegenteil zeigt sich, dass ein Gesundheitssystem, das auf den Profit von Pharma- und Krankenhauskonzernen orientiert ist, ein Irrweg ist. Deshalb gehört die öffentliche Daseinsvorsorge, wozu auch die Gesundheit zählt, in öffentliches Eigentum, zumindest in öffentliche Verantwortung. Krankenhäuser müssen sich nicht rechnen, sondern die Menschen mit der bestmöglichen Versorgung gesund machen. Gesundheit ist keine Ware. Dass Betten auf Intensivstationen zwar rechnerisch, aber nicht real zur Verfügung stehen, weil das Pflegepersonal zur Betreuung fehlt, lässt sich nur ändern, wenn diese schwere Arbeit deutlich besser bezahlt und dadurch auf mehr Schultern verteilt wird. Der allgegenwärtige Spardruck geht zu Lasten von Patientinnen und Patienten, Schwestern und Pflegern, MTAs, Ärztinnen und Ärzten.
Damit dies gelingt, müssen wir den solidarischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft auf neue breitere Füße stellen. Und zwar national und international, denn eine weltweite Pandemie kann ebenso wenig in den nationalen Grenzen bekämpft werden wie der Klimawandel, die soziale Frage, der Zugriff auf die Ressourcen auf unserem Planeten und die Lösung von Konflikten ohne Waffengewalt. Es ist zu hoffen, dass der neue Mann im Weißen Haus auch die Weltmacht USA wieder auf einen Weg führt, auf dem nicht America First, sondern der Interessenausgleich zwischen den Staaten und das gemeinsame Bemühen der Völkergemeinschaft um die Bewältigung der Weltprobleme im Mittelpunkt stehen.
Der aktuelle Lockdown ist auch eine Folge der Versäumnisse der Regierungen von Bund und Ländern, die die Möglichkeiten im Sommer und Frühherbst nicht genutzt haben, um dem Land ein soziales Leben mit dem Virus zu ermöglichen. Die zentrale Frage ist die, wie man die sozialen Kontakte so geschützt wie möglich gestalten kann. Dazu gehört eine verpflichtende Homeoffice-Offensive überall dort, wo es möglich ist, dazu gehören kostenlos zur Verfügung gestellte FFP2-Masken, dazu gehört ein umfassendes ÖPNV-Angebot, dazu gehört ein besonderer Schutz in Alten- und Pflegeheimen usw.
Zu einer Langfriststrategie gegen Corona gehört auch, die technischen Möglichkeiten zu nutzen. In Berlin, aber auch anderswo in Deutschland stellen Unternehmen hervorragende Luftfilter her, mit denen man Klassenzimmer, Restaurants, Veranstaltungsräume, Vorlesungssäle u.a. virenfrei halten könnte. Gerade weil es dauert, bis so viele Menschen auf freiwilliger Basis geimpft sind, dass man von einer Herdenimmunität sprechen kann, müsste es dafür ein großangelegtes Förderprogramm geben, damit Unterricht und soziales Leben ohne Angst vor Ansteckung möglich werden. Das Geld dafür könnte aus einer einmaligen Vermögensabgabe auf Milliardenvermögen kommen, die in der Corona-Krise noch angewachsen sind. Ein solcher Lastenausgleich wurde in der Bundesrepublik auch nach dem Krieg praktiziert. Da Corona nach den Worten der Kanzlerin die größte Herausforderung für das Land seit dem Krieg sein soll, braucht es also wieder eine Vermögensabgabe.
2021 können wir es besser machen – besonders dann, wenn Solidarität statt Egoismus Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Medien, Gewerkschaften, Kirchen, die gesamte Gesellschaft prägt.