Wenn Schauspieler vom Platz vor der Kamera zum Regiestuhl hinter der Kamera wechseln, muss das nicht automatisch gut gehen, denn der neue Job hat völlig andere Parameter. Hier ist jedoch von einem überaus gelungenem Spielfilm-Regie-Debüt eines ohnehin erfolgreichen Schauspielers – Charly Hübner – zu berichten, nach dem Erstlingsroman des Musikers Thees Uhlmann.
Eine Fantasy-Komödie mit lustvollem Hang zum Tragischen. Und, wie man weiß, gilt die Tragikomödie ja ohnehin als die menschlichste aller Kunstformen. SOPHIA, DER TOD UND ICH ist einer der schönsten Filme über das schmerzliche Geheimnis des Todes…

Thees Uhlmann:
„Das ist immer die große Frage. Seitdem ich mit Tomte Musik gemacht habe und seit ich angefangen habe zu texten. Man ist ja auch in einer künstlerischen Tradition. Bei Charly Hübner in Theater und Film sind es 70% Liebe, 30% Tod des Gemetzels…
Mich interessiert die Liebe, mich interessiert der Tod, mich interessiert das Bier. Ich finde es als etwas ganz Normales. Ich find’s auf jeden Fall interessanter als Uhren, Autos und Frauen in leichten Klamotten!“
Charly Hübner:
„Das Geheimnis ist, dass der Zustand, in dem wir jetzt hier sitzen, dass das irgendwann nicht mehr geht, weil diese Maschinen nicht mehr tickern, diese krassen Organe. Das macht ja im Kopf total was auf. Wo der Hamlet dann sagt: dieser große Bereich, von dem keiner wiederkehrt, der aber das andere Ende ist.
Und damit eine Komödie zu beginnen, um dann doch ins Melodram zu kommen, ist natürlich grandios. Also, wann darfst du das schon mal machen?“
Schon das Buch Thees Uhlmanns ist überaus lesenswert, schwierig erscheint jedoch der Weg, das kongenial filmisch umzusetzen. Diese gängigen Fantasy-Genrestücke, die derzeit ausgesprochen simpel mit Zauberern, Feen, und Monstern daherkommen, haben das „Phantastische“, wie es E T.A. Hoffmann aber auch Stephen King so souverän in den Alltag integrierten, eigentlich verkommen lassen und beliebig gemacht. SOPHIA, DER TOD UND ICH jedoch hat wieder diese lockere Selbstverständlichkeit, das Fabulöse ins Geläufige zu überführen.
So tritt also gleich zu Beginn nicht etwa der „Seelenwäger“ Erzengel Michael auf, sondern seine feministische Kollegin Michaela (Lina Beckmann), um das Ding anzuschieben. Und das geht dann sofort zügig los. Beim Protagonisten Reiner – gespielt von Dimitrij Schaad – der ohnehin nicht so richtig in der Spur ist, klingelt es an der Wohnungstür und es steht dort kein Geringerer, als der von Michaela geschickte Todesbote Morten de Sarg (Marc Hosemann), um den noch jungen Mann allen Ernstes mitzunehmen. Dessen Zeit jedenfalls sei um, so steht‘s in dessen Lebensbüchlein, da gibts nichts zu verhandeln…
Meint Morten de Sarg jedenfalls. Jedoch, es geht nicht ganz so einfach, wie von Erzengelin Michaela und Morten geplant: wegen einer Unkorrektheit springt Reiner seinem Jenseitsbegleiter noch einmal von der Schippe. Pech für Morten und viel Glück für die Zuschauer, denn jetzt beginnt so etwas wie ein Road-Movie mit Ex-Freundin Sophia (Anna-Maria Mühe), Mutter Lore (Johanna Gastdorf) und jenseitiger Verstärkung durch Morten de Sarg als eine Tour de Force voll scharfer, schneller und witziger Dialoge mit Slapstick-Einlagen und überhaupt erstaunlichen filmischen Einfällen.
Charly Hübner:
„Das war natürlich die Vorlage. Ich fand da diese Beschreibung von Reiners Welt, dass Leute, die dort wohnen, sagen, das ist ja bei mir um die Ecke – also in einer Wirklichkeit. Und dann steht da ein Typ und sagt: Ich bin der Tod! Das macht ja was, das ist wie ein Fehler, das ist wie ‘ne Störung. Und ab da wird‘s interessant. Dann sagst du, die Störung nehmen wir jetzt mal mit. Wir tun so, als ob das Leben noch mal weitergeht. Das macht im Kino total Spaß. Aber die Einladung war für mich natürlich die Erzählung – is‘ klar!“
Thees Uhlmann:
„Und ich eben als Stephen King Enthusiast… hoffentlich kann ich 10% so gut schreiben wie der Meister. Und dann kann ich aber auch meine norddeutsche Existenz nicht unterlaufen. Dazu bin ich auch so ein Fan von Action.
Aber da ist dann häufig dieses Deutsche, dieses Erklärende: Warum haben Sie ein Buch geschrieben? Weil ich die Welt verbessern wollte! Hat aber offensichtlich nicht geklappt – ist doch so, oder? Ich finde, Menschenleben werden häufiger bereichert dadurch, dass jemand einfach eine Geschichte erzählen wollte. Und so bin ich dann auf meine kleine Geschichte gekommen.“
So ein ungewöhnlicher Film braucht, wie zu erwarten, auch eine ungewöhnliche Besetzung. Dass Hauptdarsteller und Todeskandidat Reiner von einem sich so unprätentiös in die Figur fügenden Dimitrij Schad (DIE KÄNGURU CHRONIKEN, 2020) gespielt wird, ist schon ein Glücksfall für diese sicher nicht einfach zu erfüllende Rolle. Und dann Anna-Maria Mühe (NOVEMBERKIND, 2008), die so selbstverständlich wie souverän die widerspruchsvolle Position der ebenso handfest wie gelassen agierenden und immer noch liebenden Ex gibt!
Dimitrij Schaad:
„Sophia ist meine Exfreundin. Sie ist laut. Sie ist lebendig. Sie ist fordernd. Sie macht mich wahnsinnig und sie ist die größte Liebe meines Lebens.“
Anna Maria Mühe:
„Reiner ist mein Exfreund. Er ist wahnsinnig deprimierend mir gegenüber und in seinem Leben. Er kriegt nichts gebacken. Er macht mich auch wahnsinnig. Ich kann trotzdem nicht ohne ihn sein.“
Zudem schwärmen alle Schauspielkollegen von der Performance des Todesboten, der von einem vorzüglich besetzten, geführten und sich selbst befeuernden Marc Hosemann (DIE DISCOUNTER, 2021) präsentiert wird. Schon der allein lohnt den Kinobesuch.
Anna Maria Mühe:
„Also Marc war so ein bisschen wie eine Wundertüte, der auch eher zu der Fraktion gehört, die mault…“
Dimitrij Schaad (lacht):
„Ich glaube, wir treten ihm nicht zu nahe, wenn wir sagen, er ist vielleicht sogar der Fraktionsvorsitzende.“
Anna Maria Mühe:
„Man kriegt ihn aber auf jeden Fall mit Umarmen davon runter. Und er hat so eine unglaubliche Spielfreude entwickelt und ziemlich schnell verstanden, dass er Narrenfreiheit mit seiner Figur hat und alles machen und ausprobieren darf. Weil niemand wird ihm sagen: Das macht der Tod aber nicht so! Woher sollen sie‘s wissen?“
Thees Uhlmann:
Ich kenne Marc Hosemann vor allen Dingen aus ganz vielen Hörspielen, wo ich immer seine Stimme liebe. Das ist einfach ein toller Schauspieler – und da hab ich also ein Buch geschrieben, und da spielt er jetzt die Person, die ich mir ausgedacht habe. Das macht mich schon sehr stolz…
Charly Hübner:
„Marc ist natürlich einer der versiertesten Schauspieler, die wir im Land haben. Er hat großartige Theatergeschichten gemacht. Und er ist ein Komiker, ein Akteur Horrible und kann auch Melodrama. Er kann diese ganzen Dinger spielen und ist wahnsinnig intelligent, hat eine krasse Intuition und ist ein furchtbar guter Handwerker. Das machen drei Leute im Land, was der kann. Für so ‘ne Rolle brauchst du einen Schauspieler, der grenzenlos agieren kann, der auch improvisieren kann. Das musst du als Kollege in der Situation aushalten, dass die anderen einen komplett anderen Film spielen als du. Das ist nicht einfach; man will intuitiv immer ‘ne Harmonie herstellen. Und dass er als Spieler einfach in seinem Schema bleibt, das ist eine Kraft und ein totales Geschenk. Ich stand da einfach nur daneben: Komm, wir nehmen noch eine! Jeder Take ist anders.“
Und wie war Schauspielerkollege Charly Hübner als Regisseur?
Anna Maria Mühe:
„Er war wahnsinnig liebevoll und zugewandt und umarmend. Also, ich hatte das Gefühl, er war jeden Tag so dankbar, dass wir da sind und so glücklich, dass wir das mit ihm zusammen machen, diese Reise. Das war sehr, sehr schön zu sehen.“
Dimitrij Schaad:
„Was bei Charly so erstaunlich ist – und deswegen gehört er, glaube ich, einfach zu den beliebtesten Persönlichkeiten dieses Landes – es ist krass, dass er so unzynisch ist und so unmaulig. Egal was schiefgeht, weil am Set geht immer alles schief, grundsätzlich! Und sich dann auf ein Debüt einzulassen und so einen schwierigen Stoff zu bearbeiten und sich damit so viel vorzunehmen… Es ist so eine wunderschöne Arbeitshaltung. Toll, dass wir das machen dürfen, was wir machen dürfen! Das macht ihn einfach aus. Also, es können sich wirklich alle aus unserem Berufsfeld was davon abschneiden.“
Und Erzengel*in „Michaela“ – wie seid ihr darauf gekommen?
Charly Hübner:
„Ich bin ja nicht kirchlich groß geworden. Ich habe das große Glück, dass ich mich erst spät in meinem Leben mit der Bibel befassen durfte, wollte… Mir wurde es freigestellt. Ich bin dann durch Lena (Drehbuch-Mitautorin Lena May Graf), die im katholischen Hoheitsgebiet Bayern groß geworden ist, darauf hingewiesen worden, dass Erzengel diese sehr klare Funktion haben. Das Erste, was ich dachte: Warum ist diese Grundannahme so eindeutig, dass Engel männlich sind? Das ist total ätzend und ging mir einfach sofort auf den Keks. Auch dass die gefallenen Engel dann nur Männer sind, fand ich in der Erzählung der letzten 3000 Jahre Patriarchat einfach blöd.
Also, ich bin so dankbar für die Frage, weil genau deswegen habe ich gesagt, bei uns heißt die Michaela! Das passt einfach richtig gut in diese Welt von Thees. Das ist die gleiche Aura. Und dann soll sie eben aussehen wie eine, die in den 90er Jahren in den Raver Clubs getanzt hat und auf den Metal-Feldern der Festivals. Also muss das eine Frau sein – und Erzengel!
Dass das dann am Ende jetzt sogar meine geliebte Lina Beckmann gespielt hat, war natürlich ein Riesenglück.“
SOPHIA, DER TOD UND ICH startet am 31. August in den Kinos.