Ich muss gestehen, dass ich bei diesem Thema mit gewissen Vorbehalten ins Kino ging, um dann glücklicherweise vom Gegenteil überrascht zu werden.
Kein kunstfertiges Künstlerdenkmal, sondern ein kunstvoller Film über das sehr alltägliche Leben und die ganz normale Liebe eines sterbenden Mannes, der zudem ein großer Künstler war…
„Eine Liebe gegen alle Widerstände“ heißt es im Pressetext zum Film DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS nach dem gleichnamigen Bestseller von Michael Kumpfmüller – Regie: Georg Maas und Judith Kaufmann.
Es geht um die ungemein anrührende letzte Liebe eines der meist gelesenen, viel verkannten, geliebten, bewunderten, missverstandenen, beliebig interpretierten und postum wohl erfolgreichsten Schriftstellers des 20. Jahrhunderts: Franz Kafka.
Bei einem KAFKA-Film ist durchaus zu befürchten, dass man zu „kafkaesker“ Stilisierung neigt (was das auch immer das bedeuten mag). Und es ist diesem Film besonders anzurechnen: Nichts davon – und dennoch immer eine angemessene und vorzüglich durchkomponierte Bildsprache.
Georg Maas – Regisseur:
„Wir wollten in erster Linie die Liebesgeschichte erzählen und nicht so in dieses Kafkaeske gehen. Ja, es hätte irgendwie gar nicht gepasst, finde ich! Das Kafkaeske ist überhaupt eine Idee, die erst später entstanden ist, nach Kafkas Tod sozusagen. Ich habe eine kleine Szene im Film, wo die Dora Diamant durch eine Tür in einem Krankenhaus geht und plötzlich am Meer ist. Wir haben das genannt „den Strand der 1000 Betten“. Und das ist mir irgendwann beim Schreiben eingefallen. Dabei ist das auch ein bisschen schräg, weil es zum Beispiel eine Vision eher von ihr ist, als von ihm.
Das ist die einzige kafkaeske Szene, die im Film vorkommt. Es gab natürlich viele Mitleser auf dem langen Weg und die sagten: Das geht nicht! Entweder kommt so was dreimal oder keinmal. Und wir haben dann auch überlegt, vielleicht kann man das ja noch zweimal machen. Aber uns ist keine einzige Stelle eingefallen, wo es uns überzeugt hat. Und dann habe ich gesagt: Wir machen es einfach einmal und fertig!“
Ein großer Zeitgenosse Kafkas, der Bildhauer Ernst Barlach, hat einmal für seine Kunst – und eigentlich gilt das für jegliche Kunst – gefordert, dass das „Symbolische voll im Realen aufgeht“. So ist es in diesem Film. Es gibt da z.B. eine Szene, in der Kafka auf einer Wendeltreppe einen Schwächeanfall hat und die ganz realen Bilder auf der Treppe werden beiläufig auch zu einem Symbol für diese tödliche Spirale, in der Kafkas Leben verschwinden wird.
Die vorzügliche Kamerafrau Judith Kaufmann (DAS LEHRERZIMMER, 2023) hat in diesen Film übrigens auch die Co-Regie. Wie habt ihr euch das aufgeteilt?
Georg Maas – Regisseur:
„Wir haben uns gar nicht aufgeteilt. Wir haben es ja schon mal gemacht bei meinem Film ZWEI LEBEN. Und wir sind da so, ich sag mal, so reingerutscht, immer mehr. Was mir bei Judith auch sehr gefällt, ist, dass die wirklich immer ganz, ganz tief in den Stoff reingeht. Das kann schon auf den Wecker gehen. Sie sagt dann immer: Warum ist die Szene im Film? Dann muss ich das erklären. Dann meint sie: Aber erzählt die Szene das denn wirklich? Und das ging so schon bei der Fahrt zum Drehort, wo sie sagte: Georg, warum ist die Szene im Film? Aber ihr ging es immer darum, wirklich von Grund auf zu verstehen, was da los ist – was uns unheimlich geholfen hat.
Dann konnte Judith sehr schnell eine andere Perspektive, einen anderen Zugang finden, der aber trotzdem dem Inhalt wirklich entspricht, weil wir uns darüber im Gespräch klar geworden sind, was der Kern der eigentlichen Szenen ist. Und Judith hat natürlich durch ihre vielen Filme und Drehs mit guten Regisseurinnen und Regisseuren eine enorme Erfahrung.“
Es ist keine Frage, dass für einen Film über so exorbitante Persönlichkeiten die Besetzung von enormer Bedeutung ist. Und, so viel vorweg, es ist die perfekte Besetzung geworden. Sabin Tambrea (LUDWIG II, 2012) spielt den an Lungentuberkulose erkrankten Kafka und Henriette Confurius (DAS KALTE HERZ, 2016) spielt eine selbstbewusste, starke und schöne Frau, der es wichtig war, einen Mann zu finden, der ihr gewachsen ist und den sie bis zu seinem bevorstehenden Tod begleiten, lieben und pflegen wird.
Georg Maas – Regisseur:
„Ja, irgendwie war Sabin Tambrea ganz von Anfang an dabei. Das ging ganz schnell. Ich weiß, dass ihn unsere Castingdirektoren vorgeschlagen hatten. Und die Produzenten haben ihn vorgeschlagen, also der Name war schon da, bevor ich überhaupt darüber nachgedacht habe. Und ja, der hat mich einfach überzeugt. Sabin hat was ganz Besonderes, was zu Kafka passt, finde ich. Und die Henriette Confurius – sie ist eigentlich Dora Diamant. Die beiden bringen auch wirklich viel mit und spielen toll. Ich würde mich wundern, wenn Sabin nicht ein paar schlaflose Nächte hatte, aufgrund des Gewichts, das da auf seinen Schultern liegt, wen er da verkörpern soll. Und ich habe mich sehr gefreut, dass es gelungen ist, dass er sich mit der Henriette darauf einlässt, ganz frei zu spielen und einfach zuzulassen, ein ganz normaler Mann zu sein, der eine Frau kennenlernt.“
Sabin Tambrea – Schauspieler:
„Also erstmal ist für mich von Anfang an klar gewesen, dass man nur scheitern kann, wenn man Kafka darstellen möchte. Der Kosmos ist zu groß, um ihm komplett gerecht zu werden. Und als ich mich getraut habe, mir das einzugestehen, begann die Arbeit mit einer ungeheuren Freiheit. Weil das, was ich hier bieten kann, sind nur meine Interpretation und meine Sicht auf die Dinge. Das hat mir dabei geholfen, mich zu trauen, mich darauf zu beschränken, wie ich Kafka sehe. Und dann ging es los mit Lesen, Lesen, Lesen – Sekundärliteratur, Briefe…
Und ja, das war eine gemeinsame Suche auch mit dem Regieteam, mit Georg Maas und Judith Kaufmann, um nach der Wahrhaftigkeit zu suchen, die wir da erzählen wollten.“
Wer aber war Dora Diamant? In vielen Schriften und sonstwie formulierten „Meinungen“ über Kafka wird sie eher so en passant registriert.
Passte sie nichts ins fertige „Vor-Urteil“?
Henriette Confurius – Schauspielerin:
„Ich glaube, das ist irgendwie etwas, was sehr oft passiert. Dass also das Interesse an der Frau neben Franz Kafka natürlich nicht so groß ist, wie das Interesse an seinem Schaffen und an seinem Werk – und dann eben sekundär auch an seiner Persönlichkeit, und was er für ein Mensch war.
Eben sich jemanden zu erarbeiten, über den es nicht so eine große Meinung gibt. Aber ja, ich kannte Dora vorher nicht. Ich wusste gar nichts über sie, und habe mich sofort in sie verliebt. Ich habe total gerne über sie gelesen. Ich fand es wunderschön, wie Michael Kumpfmüller und auch Georg Maas in seinem Drehbuch diese Frau beschrieben haben, wie viel Tiefe sie haben darf, wie fein auserzählt sie auch ist. Dass man eine historische Frauenrolle spielen darf, die so vielseitig ist und so viel Eigenes hat, ist ein großer Luxus. Ich war sehr beeindruckt von Dora. Bin immer noch sehr beeindruckt von ihr. Eine unfassbar mutige, interessante, kluge Frau, die so selbstbewusst und so selbstverständlich durchs Leben gegangen ist und ihre Entscheidungen nicht hinterfragt hat und unheimlich viel Kraft gehabt haben muss.
Ja, also ich glaube, Franz Kafka legt ihr ja von Anfang an die Karten auf den Tisch, und es ist eine gemeinsame Entscheidung. Sie ist nicht als Frau abhängig von einem Mann. Sie heiraten nicht. Es passiert in keinem Moment eine Abhängigkeit zwischen den beiden, sondern sie sind beide auf dem gleichen Stand. Sie wissen beide um die Krankheit. Sie wissen beide, auf was sie sich einlassen, und dadurch entsteht eine Beziehung auf Augenhöhe.“
Nach Kafkas Tod musste die politisch aktive Antifaschistin und Jüdin Dora Diamant, als die Nazis die Macht übernahmen, emigrieren. Kafkas Werk wurde zudem als Erzeugnis „schädlichen und unerwünschten Schriftguts“ verbrannt.
Dennoch war die kurze Zeit, die Franz Kafka und Dora Diamant miteinander hatten, durchaus keine triste, freudlose Phase, und der Film erzählt das lebensfroh und sogar humorvoll.
Georg Maas – Regisseur:
„Ich finde die ganze Art, wie die sich kennenlernen, das ist alles lustig. Und es wird eben erzählt, dass Kafka und Dora sich gegenseitig viel vorgelesen haben. Er wollte immer, dass Dora ihm hebräische Texte vorliest – Originalsprache. Er hat bestimmt auch Texte von sich und Max Brod gelesen und er hat sich manchmal totgelacht darüber. Auch über so Sachen, die, wie DIE VERWANDLUNG, eigentlich erschreckend sind. Aber wenn man es dann genau liest, merkt man auch, dass das voller Humor ist.
Ja, das Kafka-Bild, das konventionelle Kafka-Bild, das ist ja ganz schrecklich: Der in sich Verschlossene, Unfähige, Liebesunfähige. Was weiß ich, einige Intellektuelle und Max Brod und Dora Diamant haben ihn so ganz anders beschrieben. Und auch Kumpfmüller dann in seinem Roman. Das hat mir unheimlich gut gefallen. Ich liebe die Texte von Kafka und konnte darin den Autor auch erkennen, der diese tollen Texte geschrieben hat.
Der Kafka ist jemand, der den Mut gehabt hat, er selber zu sein. Ein bisschen kauzig, ein bisschen sonderbar, schonungslos ehrlich, was dazu geführt hat, dass auch manchmal Freundschaften zerbrochen sind. Und in seinem Schreiben auch: da war er radikal an der absoluten Klarheit und schnörkellose Freiheit interessiert. Und das war für uns natürlich ein Ansporn, den Film ganz klar und schnörkellos zu machen. Also wenn ich jetzt das Geld gehabt hätte, die Zwanzigerjahre groß aufzufahren wie „Berlin, Babylon“, ich wäre in Versuchung gekommen. Aber ich bin eigentlich froh, dass wir das so gemacht haben…“
DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS startet am 14. März 2024 in den Kinos.