Dies ist ein Film nach einem britischen Theaterstück, inszeniert von Lars Kraume („DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER“, 2015 und „DER VERMESSENE MENSCH“, 2023) und mit zwei in mehrfacher Hinsicht für diesen Film perfekten Darstellern besetzt.
Simon Stephens ist aktuell DER britische Erfolgs-Dramatiker, der auch hierzulande zu den meistgespielten Gegenwartsautoren gehört. Seine zeitbezogenen, gesellschaftskritischen Stücke wurden vielfach ausgezeichnet. Aber er hat auch so etwas wie eine gut gelaunte Komödie geschrieben, die ihren tieferen Sinn vermutlich erst so nach und nach enthüllt. Das Stück heißt bei ihm einfach HEISENBERG, bezugnehmend auf die „Heisenbergsche Unschärferelation“, hatte 2015 seine New Yorker Uraufführung und war seit 2016 auch ein Erfolgsstück des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Eine Frau und ein Mann, sie Schulsekretärin und er Metzger, beide in ihrer zweiten Lebenshälfte, sie ausgesprochen extrovertiert und er total introvertiert, lernen sich kennen und …lieben.
Zur amerikanischen Premiere schrieb seinerzeit The New York Times: „Subtil gelingt es Simon Stephens, das Wahre hinter dem Klischee, das Exotische im Vertrauten zu entdecken. HEISENBERG beginnt wie eine Screwball-Komödie, wird dann zum anrührenden Melodram und erforscht letztlich die zahllosen Alternativen, die uns das Leben jede Sekunde lässt.“
Weil es sich hier aber nicht um ein Kolleg in Quantenmechanik dreht – deshalb wohl hat man im Filmtitel das „Heisenberg“ vorsichtshalber weggelassen – sondern eine „Romantische Komödie“ gedreht wurde, muss man auch nicht befürchten, wissenschaftlich überfordert zu werden. Schließlich kennt ein jeder von uns selbst die unscharfen Vorgaben für den Lebenslauf und für die Liebe erst recht!
Eine Chaotin und ein Pedant, die vorzüglichen Akteure Caroline Peters und Burghart Klaußner – trainiert auf der Düsseldorfer Bühne mit eben diesem Stück – geraten als Greta und Alexander in das Gerangel scheinbar irrationaler Zumutungen und abgeklärter Motivationen. Und der ungewisse Ausgang dieses Fights trägt die Spannung des Films.
Sie haben – wie oft eigentlich? – auf der Bühne HEISENBERGS UNSCHÄRFERELATION DER LIEBE gründlich durchlebt. Was macht für Sie den Unterschied zur Filmversion?
Caroline Peters:
„Wir haben es wirklich oft gespielt – ich glaube 50 oder 60 Vorstellungen…
Also, was ich toll finde, ist, dass der Ort sich ständig verändert. Im Theater, da ist es halt ein Ort, da ist alles sehr begrenzt. Und im Film kann sich halt um dieses endlose Gespräch, das diese beiden führen, um sich kennenzulernen, die ganze Zeit die Szenerie ändern. Man ist permanent an einem anderen Ort, kommt an anderen Dingen vorbei und hat eine visuelle Ebene, die auch noch sehr viel erzählt, die über die Sprache und das Spiel der beiden Schauspieler total hinausgeht. Und das gefällt mir wahnsinnig gut daran.“
Burghart Klaußner:
„Im Film ist man in der Realität, da gibts kein Vertun. Film hat ‘ne starke realistische Kraft, aus der man nicht entkommt. Das Theater lädt zu Abschweifungen ein und hat ganz andere Realitäten. Es war zu prüfen, ob das auch hält, was wir uns vor einem Theaterpublikum erarbeitet hatten an Gelächter, an Zuneigung und Erfolg. Ich war eigentlich überzeugt, dass wir es hinkriegen würden und müssten. Auf jeden Fall wars uns einen Versuch wert, in die Unschärferelation der Liebe zu gehen.“
Besonderes gelungen ist da gleich die Vorspann-Montage, die in fast jeder Sequenz filmisch eine kleine Geschichte erzählt. Davon hätte man sich noch mehr auch im weiteren Film gewünscht – aber das ist dann wohl völlig zurecht die Spielwiese der Akteure…
Wie also sieht Burghart Klaußner seinen Alexander?
Burghart Klaußner:
„Naja – ich bin der Meinung, man muss als Schauspieler seinen Figuren nicht alles glauben und auch nicht alles mögen. Man sollte aber auch nicht die Figuren, die man spielt, nicht mögen. Das geht gar nicht! Ich finde die Vereinzelung, die dieser Metzger für sich entschieden hat, nämlich so relativ einsam durchs Leben zu latschen, Musik zu hören, Würstchen zu knacken und sich ansonsten nicht viel um das Weltgeschehen zu kümmern. Selbst in seinem Tagebuch taucht z.B. der Mauerfall nicht auf… Das ist alles etwas merkwürdig, aber es spricht dafür, dass dieser Mann so wie der Klaußner ein Eremit ist, das ist das Wort Klausner in seiner Bedeutung. Und das mag ich an diesem Menschen – eine gewisse Eigenlust und Eigenmächtigkeit ist dem schon eigen, die ich ganz gut verstehen kann.“
Caroline Peters:
„Alexander kennenzulernen ist gar nicht so einfach, weil der eben so sehr, sehr, sehr, sehr zurückhaltend ist und von sich sehr wenig preisgibt. Man muss ihn ewig löchern mit Fragen, bevor er mal von sich selber redet, bzw. überhaupt redet.“
Und was mögen sie an Greta, und was möglicherweise nicht?
Caroline Peters:
„Ich mag diese Figur sehr, ich finde die sehr verständlich und auch lustig. Ich mag auch sehr gerne, dass sie sich durch Reden am Leben erhält, dass sie alle Dinge ausspricht, über die sie nachdenkt, dass sie die aber auch zu verkleiden weiß in Geschichten und sich um Dinge herumschleicht, um dann irgendwie wieder zuzuschlagen. Alles nicht so logisch und konsequent und vernünftig, aber es ist sehr transparent. Es ist irgendwie nachvollziehbar, wie die ist. Schon als ich das Stück zum ersten Mal gelesen habe, hat sich mir tatsächlich etwas mitgeteilt – wie von einem anderen Menschen, was das ja definitiv nicht ist, sondern nur Worte auf Papier, aber eben von einem anderen Menschen zu Papier gebracht, und irgendwie hat er das besonders toll gemacht.“
Burghart Klaußner:
„Greta ist außer sich, wo er ganz bei sich ist. Greta ist charmant, wo er die meiste Zeit ganz einsilbig sein wird. Sie ist eine attraktive Frau. Sie sucht mehr, als das Leben auf den ersten Blick zu bieten hat – das lernt er von ihr. Alexander wird von der Frau in den Nacken geküsst – überraschenderweise an der Bushaltestelle. Sie behauptet, ihn verwechselt zu haben; mit ihrem Mann. Der ist aber schon sechs Jahre tot. Das ist schon auf den zweiten Blick relativ komisch, denn das kann ja irgendwie gar nicht sein – und davon handelt auch so ein bisschen der Film, dass man sagt, das kann ja alles so gar nicht sein. Aber es ist so. Und es kommt sogar zu einer Zweisamkeit.“
Dieser „versehentliche“ Kuss in den Nacken, der die weitere Beziehung der beiden einander Fremden einleitet – was war das? Missverständnis oder Absicht?
Caroline Peters:
„Ja, im Nachhinein denke ich: weder – noch. Greta behauptet dann, das wäre ein reines Missverständnis gewesen und man könnte auch denken, dass sie das ja nur behauptet, um eine Erklärung oder um eine gute Pointe zu haben. Aber ich glaube, in dem Moment, wo sie den Nacken vor sich sieht, sagt etwas in ihr, dass sie dahin küssen muss. Das sind eben die beiden Teilchen, die aufeinandertreffen. Und es hat ihr ganzes Leben gedauert, bis diese Zwei endlich an den Punkt gekommen sind, und sie spürt diese Gunst des kosmischen Augenblicks, benutzt es – und dann ist die Verbindung da! Sonst wäre er einfach in seinen Bus gestiegen, und das wars. Ihn einfach nur anzusprechen hätte eben nicht gereicht.“
Trotzdem, was meint Heisenbergs „Unschärferelation“? Zwei komplementäre Eigenschaften – z.B. Ort und Impuls – eines Teilchens sind nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar… Und was hat das mit Liebe zu tun?
Caroline Peters:
„Das eben versucht Simon Stevens in diesem Stück herauszufinden. Was könnte diese physikalische Theorie Heisenbergs von 1924 mit Liebe zu tun haben? Könnte die überhaupt etwas mit Liebe zu tun haben? Oder ist Physik einfach Wissenschaft und das andere ist… Seele. Oder ist es nicht ein bisschen doch so, dass die Dinge sehr stark zusammenhängen und dass eine physikalisch-energetische Beschreibung genauso gut auch eine seelische Beschreibung sein könnte. Es sind nur andere Wortfelder, die gebraucht werden. Was ich davon verstehe, ist, dass es immer eine Unschärfe gibt in der Beschreibung. Wenn ich etwas beobachte, verändert sich das durch meine Beobachtung und es entsteht eine Unschärfe – automatisch. Schon in der Sekunde der Begegnung ist keiner mehr so, wie er vorher war – und das kann man eben nicht sehen, das ist unscharf, aber eindeutig erlebbar. Ich finde den Versuch von Simon Stephens super, solche Theorien anzuwenden und auch keinen Brückenschlag zu versuchen, sondern zu sagen: Wieso? Wir sind doch stoffliche Welt. Das kann doch nicht sein, dass es eine seelische Welt gibt, die von dem Stofflichen vollkommen losgelöst ist. Und warum soll das auch so sein?“
Burghart Klaußner:
„Naja – die Vorhersagbarkeit ist in der Physik bei Heisenberg ebenso wie in unserem Liebesfilm, wenn man ihn so bezeichnen will (selbst das ist schon unscharf genug), diese Vorhersagbarkeit ist nicht gegeben. Nicht wirklich, nicht bis ins Letzte. Und das war eine neue Erkenntnis in der Physik, die natürlich bisher immer auf feststehenden Parametern aufbaute, zu sagen: Nein, auch das Ungenaue fließt in unsere Beobachtungswelt mit ein. Und in unserem Film ist es eben die überraschende Wendung, die zwei Leben aufeinander nehmen, von denen wir am Anfang wirklich nicht glauben, dass es funktionieren kann. Wir wissen auch das Ende nicht; aber wir sehen einen Zwischenbereich, in dem‘s gut funktioniert.“
Also könnte man demnach auch Einsteins E=mc² fürs Liebesleben anwenden?
Burghart Klaußner:
„Die Relativitätstheorie wird ja schon seit Jahrzehnten in der Poesie als Beweis dafür verwendet, dass wir nichts Genaues wissen, und dass wir es nicht genau orten können. Aber das ist generell so mit den Naturwissenschaften – sie haben an sich poetische Eigenschaften. Sie sind auch durch die poetischen Naturen der Naturwissenschaftler gefunden worden. Wenn Einstein nicht musisch gewesen wäre, hätte er niemals diese Gedankenwelt entwickelt. Die Kreativität dieser großen Physiker ist unmittelbar mit der Kreativität von Künstlern zu vergleichen und verbunden. Das muss man sich nur hinters Ohr schreiben…“
Klaußner lacht laut.
Ganz nach der Heisenbergschen Unschärferelation interessiert uns die Veränderung unserer Wahrnehmung von Menschen und Beziehungen – je nachdem, was wir über sie erfahren. Stellt sich schließlich die Frage, ob man diese Dialektik von Zufall und Zwangsläufigkeit fürchten oder einfach als altbewährtes, aber eben auch „unscharfes“ Werkzeug der Evolution akzeptieren sollte.
Burghart Klaußner:
„Es bleibt uns nichts übrig, als es zu akzeptieren. Man kann das Leben nicht „fürchten“, denn darauf würde es hinauslaufen. Die Überraschungen des Lebens zu fürchten, hieße, das Leben zu fürchten. Aber manchmal ist es eher umgekehrt – wenn‘s zu geradlinig läuft und zu sehr eingefahren ist, dann muss ein bisschen Zunder unter‘n Hintern…“
Greta sagt im Film: „Wie leben nur einmal!“ – und der Film scheint uns wieder einmal daran zu erinnern, dass es tatsächlich so ist…
Caroline Peters:
„Ja – und dass es eine Gegenwart gibt, die man schätzen sollte. Und dass man nicht dauernd versuchen sollte zu entfliehen…
Es ist natürlich schwachsinnig, dies im Kino zu sagen oder im Theater, weil das ja der zentrale Ort für Weltflüchler ist. Inzwischen hat man das auch im Smartphone und so. Aber früher gab es eben kaum Orte, wo man der Welt so gut entfliehen konnte, wie im Kino und dem Theater, und es haben sich auch hauptsächlich Weltflüchter dafür interessiert.
Trotzdem wird in diesem Film eindeutig gesagt, das muss dir klar sein, dass man nur einmal lebt und also muss man jetzt Dinge erleben und ausüben und nicht vor sich selber verwischen und verwässern, hinten wegschieben und ausweichen.“
Die Unschärferelation der Liebe läuft ab 29.06.2023 in den Kinos.