Filme von Wim Wenders (u.a. „Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“ und „Buena Vista Social Club“) haben meist, ob sie nun gefallen oder nicht, die Vorzüge des Autorenkinos – will heißen, er hastet nicht den jeweils angesagten Trends, und schon gar nicht profitablen Maßgaben nach. Und so kommt es zu diesen ungewöhnlichen schönen Filmen, wie dem hier vorgestellten.
Ungewöhnlich in mehrfacher Hinsicht – Wenders produzierte den Film quasi zwischendurch während der aufwändigen Arbeit an seinem Dokumentarfilm ANSELM über den Künstler Anselm Kiefer.
Wim Wenders:
„PERFECT DAYS hatte definitiv eine ungewöhnliche Evolution. Ich hatte eigentlich keine Zeit, einen anderen Film zu machen. Ich habe am Anselm Kiefer-Film gedreht und schon zwei Jahre geschnitten, war noch längst nicht fertig, als ich diese Einladung bekommen habe: Könnten Sie nach Tokio kommen? Haben Sie Zeit sich dieses sehr schöne architektonische Projekt anzusehen. 15 Meister-Architekten haben jeweils was ganz Kleines gebaut – nämlich Toilettenhäuschen. Da denkt man erst mal, lese ich recht? (er lacht) Und dann gab es auch ein paar Bilder. Das waren wirklich kleine Paläste! Architektur interessiert mich sowieso und Japan liebe ich sehr. Aber ich habe jetzt keine Zeit ich bin mitten in einem Film. Wenn überhaupt, könnte ich im Mai eine Woche kommen. Dann macht nämlich meine Cutterin nach über zwei Jahren Arbeit mal eine Woche Pause. Ja, klar, bitte komm! Wir wollen nur, dass du guckst, ob dich das interessiert und inspiriert. Weil wenn es dich inspiriert, gibt es ja viele Möglichkeiten…“
Kurz, Wenders fuhr nach Japan und sah diese Miniatur-Meisterwerke japanischer Architekten der Spitzenklasse an, die sonst global Museen, Hochhäuser und Stadien bauen. Und er fragte sich, ob das nicht ebenso andere Kollegen machen könnten – ein Fotobuch oder einen Dokumentarfilm. Ihn interessiert bei Filmen um Orte ohnehin eine damit verbundene Geschichte.
Wim Wenders:
„Ich würde gerne eine Geschichte erzählen. Schön, ich mag diese Orte, und ich mag den japanischen Sinn für das Gemeingut. Ich kann mir auch vorstellen, dass da eine Figur vorkommt, die das wirklich verkörpert. Und auf einmal ging das alles. Es hieß es: Komm, mach! Wir haben nur den Oktober, das wissen wir, also drehen wir das ganz schnell!“
Zudem hatte man bereits einen Darsteller einbezogen, und zwar nicht irgendeinen, sondern den großartigen Kōji Yakusho, der sowohl im japanischen wie auch im internationalen Kino viele Erfolge feierte – u.a. der mit 51 internationalen Preisen prämierten SHALL WE DANCE oder den in Cannes ausgezeichneten Film BABEL…
In PERFECT DAYS wird er die Rolle des Toilettenreinigers Hirayama spielen. Er führt ein einfaches Leben, widmet sich seinen Interessen für Literatur, Musik und Natur und steht im völligen Gegensatz zur eigentlichen Hektik seiner Heimatstadt Tokyo.
Und so viel vorweg: für diese Rolle bekommt Kōji Yakusho beim Festival in Cannes 2023 den Darstellerpreis.
Wim Wenders:
„Und dann gibt es den idealen Schauspieler. Ich habe es erst mal nicht glauben wollen. Ich habe gesagt, habt ihr DEN im Sinn? Und sie: Ja, wir haben von dir erzählt, und er sagt, er macht alles. Er ist bedingungslos dabei. Wenn du das machst, macht er das auch. Ich hab ihn dann auch treffen können, und dann wusste ich, für wen ich das schreibe. Dann bin ich im Oktober wieder hin, für einen Monat und wir haben das gedreht in „null Komma Josef“. Das war alles im Februar fertig und auf einmal hatte ich zwei Filme gleichzeitig.“
Ihr Co-Autor war Takuma Takasaki – wie funktionierte die Zusammenarbeit?
Wim Wenders:
„Takuma ist auch ein richtiger Filmfan. Als ich überlegte, wenn ich jetzt in ein Drehbuch schreiben muss, brauche ich Japaner. Ich kann es ja nicht selber schaffen. Wir müssen es ja auch auf Japanisch drehen – kann ich ja gar nicht! Ich kann doch in 1000 Fettnäpfchen treten als Ausländer in Japan. Ich muss das also mit einem Japaner schreiben, der erstens mein Werk kennt, aber zweitens das japanische Kino. Und dann war Takuma da, und er war auch der, der mich ursprünglich miteingeladen hatte: Der Wenders, der liebt Architektur und der mag Tokyo, den sollte man mal einladen…
Takuma hat mit mir dann in drei Wochen das Drehbuch in Grundzügen geschrieben. Er hat wunderschöne Dialoge für den Film geschrieben, denn er ist auch ein Dichter. Wir hatten gemeinsam die Ideen, die diesen Film tragen, dass der Mann die Natur liebt, diese Lichtspiele, die im Film vorkommen, wo die Sonne ein Schattenspiel auf die Wände oder auf dem Boden malt, wenn sie durch die Blätter fällt. Das wurde dann Teil der Geschichte unseres Mannes Hirayama. Takuma Takasaki und ich waren ein richtig tolles Team. Er war beim Drehen immer dabei und ist auch zum Schneiden gekommen. Eigentlich war es immer mein Traum, dass ich mit jemandem einen Film schreibe, der auch dann dabei ist.
Und unser Schauspieler wurde in so kurzer Zeit, in zwei, drei Drehtagen, so sehr unser Hirayama, dass da gar nichts mehr zu machen war. Wir haben den Film fast wie einen Dokumentarfilm gedreht und sind dem Mann gefolgt. Er wusste, was er macht. Ich hab ihm erklärt: jetzt die nächste Szene, du baust dein Bett, sortierst deine Foto und dann gehst du runter und putzt dir die Zähne. Wir haben das eigentlich dokumentarisch begleitet…“
Mit ANSELM haben sie ja zeitgleich einen Dokumentarfilm gedreht und nun findet sich diese Sichtweise auch in ihrem Spielfilm. Was hat sie daran gereizt?
Wim Wenders:
„Ich bin mir schließlich selbst auf die Schliche gekommen, dass ich meine Spielfilme eigentlich immer so gedreht habe, als mache ich einen Dokumentarfilm. Das heißt, dass ich in den Geschichten, in den erzählten Filmen, eine große Aufmerksamkeit habe für das, was da wirklich ist also viele Geschichten dokumentarisch erzählt habe. Und bei meinen Dokumentarfilmen habe ich mich immer ausgetobt – fiktiv. Weil ich der Meinung war, nur so ist das, was ich bezeugen will, als das, was es wirklich gibt, gut aufgehoben. Ich habe es dann allmählich begriffen, und ich hoffe, ich kann mir die Unschuld, das so zu machen, noch ein bisschen bewahren.“
Dieser Hirayama verkörpert auf ganz selbstverständliche Weise etwas, was die ganze Welt angesichts der bevorstehenden und kaum beherrschbaren Katastrophen irgendwie einfordert: Limitierung. Etwas, das in unserem Wachstumsmythos aber eigentlich keiner will oder anzusprechen wagt. Ist das ein Thema?
Wim Wenders:
„Dieses Thema der Reduktion und der Bescheidenheit ist über unseren Hauptdarsteller und über die Figur des Hirayama wie von selbst reingekommen. Das ist so eine Art Mönch. Das war einer, der eine andere Vergangenheit hatte. Der durchaus eine Vergangenheit des Überflusses hatte, wahrscheinlich auch ein anderes Leben. Man merkt es ja an ein paar Indizien, dass er auch mal vielleicht privilegierter, reicher war. Einer, der sehr froh ist mit dem Wenigen, auf das er sich zurückzieht und das Wenige dafür umso mehr genießt. Und dass wir damit etwas berühren, was tatsächlich heute alle angeht und was tatsächlich in uns allen brodelt, ist uns dann auch erst im Lauf des Drehens bewusst geworden. Je mehr wir ihm gefolgt sind, umso mehr haben wir gemerkt – ja, das ist ein tolles Modell, dieser Mann.“
Das limitierte, aber ebenso erfüllte Leben des Hirayama, der regelmäßig die Schattenspiele der Blätter bewundert und mit seiner einfachen Pocket-Kamera fotografiert, bevor er die Reinigungstour durch die Toiletten der Großstadt antritt. Er hat zudem eine Sammlung alter Musikkassetten mit den Titeln der 60er, 70er Jahre. Die Musik ist wahrscheinlich auch nach den Vorlieben des Regisseurs ausgewählt. Musik spielt in den meisten Ihrer Filme eine bedeutende Rolle. Inwiefern sind das auch Titel, die für Hirayama stehen?
Wim Wenders:
„Das war eine meiner ersten Fragen an Takuma, meinen Co-Autor. Sag mal, wenn der Mann jetzt so wie wir besprochen haben, nur Kassetten hat, dann sind es ja seine alten Kassetten, als er jung war. Vielleicht noch aus den 60er, 70er Jahren. Kann das denn sein, dass er so was hört? Den Lou Reed und die Patti Smith und das, was ich gemocht habe in der Zeit? Er ist doch Japaner. Also, du musst jetzt hier eingreifen. Ich will hier meinen Geschmack nicht auf diesen Mann drauflegen. Und da hat er gesagt: Kannst ganz beruhigt sein! Wir haben hier in Japan genau dasselbe gehört. Wir haben hier die Rolling Stones Konzerte gehört. Die Kinks waren hier, der Lou Reed… Ry Cooder hat hier sein tollstes Konzert aller Zeiten gegeben. Wir haben dieselbe Musik gehört wie du!“
Nun wurde ausgerechnet dieser Film eines deutschen Regisseur Japans Vorschlag für den Oscar 2024 – irgendwie kurios?
Wim Wenders:
„Kann man nicht anders sagen. Ich habe das eigentlich nicht erwartet, weil sowohl bei den Filmfestivals in Toronto und Venedig schöne japanische Filme gelaufen sind. Aber dann hat unser Hauptdarsteller in Cannes den Preis gewonnen als bester Schauspieler. Und der Kōji Yakusho ist ein Volksheld in Japan. Als der mit dem Preis aus Cannes in Tokio gelandet ist, waren 1000 Leute da und es gab eine Pressekonferenz. Und dann war die Preisverleihung von Cannes jeden Abend wieder aufs Neue im Fernsehen. Er ist ein großer Held und die freuen sich alle für ihn. Und dass Japan dann diesen Film nominiert hat, ist, glaube ich, vor allem dem Kōji Yakusho zu verdanken und nicht seinem deutschen Regisseur. Letzten Endes hat mich dann aber nichts mehr gewundert und ich freu mich darüber.“
PERFECT DAYS startet am 21. Dezember in den Kinos.