Der Film beginnt mit einer Art „Ouvertüre“, die auch für den Beginn des Höllen-Parts in Dantes „Göttlicher Komödie“ stehen könnte. Die Musik erzwingt ohnehin das genauere Hinhören – der britische Komponist Mika Levi hat bereits den Film UNDER THE SKIN (2013) von Regisseur Jonathan Glazer vertont und wurde für seine Musik mit etlichen Preisen bedacht. So auch für die Musik dieses Films.
Dann überblendet die eindrucksvolle Einleitungsmusik in Vogelgezwitscher… Man sieht eine Sommerwiese, auf der eine unbeschwerte Familie den sonnenhellen Tag genießt. Nichts Auffallendes, ein erfreulicher Ausflug, scheint es. Beim hier in Zivil agierenden Vater allerdings bemerkt man irgendwann die exakt hochgeschorene Landserfrisur mit der deutlich abgesetzten Matte dunklen Resthaars auf dem ansonsten kahlen Schädel. Sie bleibt über den Film hinweg so etwas wie ein spezielles Signet des Protagonisten – es ist Rudolf Höß, Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz.
Die nette Familie hat sich ein nettes Domizil eingerichtet – Haus mit Schwimmbecken und Garten, anstelle des Gartenzauns die Mauer des Stammlagers Auschwitz I.
Am Abend nach dem Ausflug geht der geradezu manisch ordentliche Familienvater Höß, vorzüglich gespielt von Christian Friedel („Das weisse Band“, 2009), noch einmal durch alle Zimmer, löscht eigenhändig jede Lampe, schließt selbst jegliche Tür. Eine perfekte Familie.
Hedwig Höß – geradezu überwältigend uneitel: Sandra Hüller („Toni Erdmann“, 2016) – ist eine etwas biedere, leicht plump agierende Hausfrau, die ihr Leben mit reichlich polnischem Personal und gelegentlichen Lieferungen aus dem Lager behaglich eingerichtet hat. Woher der Pelzmantel stammt, den sie da gerade auspackt, interessiert sie nicht, wie auch die unausgesetzten Hintergrundgeräusche – das verstörende Dröhnen der „Vernichtungsfabrik Auschwitz“, dazu Schüsse, Schreie, Hundegebell von jenseits der Mauer.
Über der Mauer, die permanente Rauchfahne der permanent arbeitenden Verbrennungsöfen. Hedwig interessiert das offensichtlich nicht. Sie pflegt liebevoll ihren, wie sie sagt, „Paradiesgarten“. Alles allerdings ein wenig langweilig gestaltet, wie auch das Haus und die Wohnung von einer geradezu spießigen Ordentlichkeit bestimmt sind.
Apropos – KZ-Filme gab es inzwischen etliche – und auch sehr gute. Dieser Film aber ist deutlich anders, und also auch auf besondere Weise verstörend beeindruckend.
Jonathan Glazer – Regisseur:
„Die Idee hinter dem Projekt war, wie können wir den Holocaust heute erzählen – Mit anderen Worten: Diese Dinge sind wieder aktuell und wir wissen das.
Diese Typen waren keine Anomalien. Das waren ganz normale Leute, die Schritt für Schritt zu Massenmördern wurden – und zwar offensichtlich so distanziert von den Verbrechen, dass sie sie nicht als Verbrechen wahrgenommen haben. Es geht um unsere Fähigkeit zur Gewalt und um unsere Gleichgültigkeit, unsere Mitschuld, unsere Distanzierung von den Schrecken der Welt. Und zwar, um unseren eigenen Seelenzustand zu schützen und unsere Sicherheit zu wahren. Es geht um das, was wir wählen, und das wovon wir uns abwenden, um uns diesen Luxus zu leisten.“
James Wilson – Produzent:
„Mit dieser Darstellung hoffen wir, uns eine Art Spiegel vorzuhalten, uns selbst zu sehen.
Vielleicht sind die Fragen dieses Films nicht: Wie konnten diese gewöhnlichen Menschen so schreckliche Dinge tun? Was ist die Banalität des Bösen, die natürlich auch aktuell ist? – Sondern: Wie sehr sind wir ihnen ähnlich? Und ich hoffe, der Film spricht auch so zum Publikum.“
Jonathan Glazer – Regisseur:
„Ich denke, jeder von uns muss damit umgehen. Es geht um unsere Fähigkeit, zu erkennen, dass jeder von uns Verantwortung trägt: Was wir wählen, wen wir wählen zu lieben, mit wem wir mitfühlen, und wen wir wählen, nicht zu lieben.“
Die von vorzüglichen Darstellern porträtierten Protagonisten verhalten sich – zumindest in ihrem Privatrefugium – auf durchaus gewohnte Weise alltäglich. Hedwig Höß verlässt nicht Haus und Anwesen und mit ihr bleibt auch die Kamera nur auf der Garten-Seite der Mauer. Was dahinter passiert, existiert nur als „Kopfkino“.
Rudolf Höß wird nicht als Bestie gezeigt, sondern ist alles in allem recht durchschnittlich geraten. Es heißt von ihm, er war ordnungsliebend, pflichtbewusst, tierlieb, naturverbunden – und natürlich nett zu den Kindern. Bei einer Bootstour verdunkelt sich plötzlich das Wasser des romantischen Flüsschens von der Asche aus den KZ-Öfen, und der besorgte Vater kümmert sich mit geradezu rührender Eile um die Gesundheit seiner Kleinen.
Eine Tochter ist dennoch irgendwie beunruhigt vom Ambiente. Des Nachts beobachtet das Mädchen aus der oberen Etage über die Mauer hinweg den Rauch des Krematoriums, das nur wenige Meter entfernt unentwegt arbeitet. Dann geht sie wie eine Schlafwandlerin wieder in ihr Bettchen und verdrängt das Gesehene als einen Albtraum.
Jonathan Glazer – Regisseur:
„Unsere deutschen Hauptdarsteller, Sandra Hüller und Christian Friedel -Sandra im Besonderen – haben sich nur ungern auf das Projekt eingelassen. Und das lag, glaube ich, daran, dass sie schon viele Male gefragt wurden, Nazis zu spielen. Und beide hatten eine echte und berechtigte Abneigung dagegen, weil es oft nur etwas ist, wo jemand einfach einen Hut aufsetzt und eine SS-Uniform anzieht – also eine Kostümrolle.
Ich glaube, als ich ihnen erklärt habe, wie ich den Film machen werde, worum es in dem Film geht, haben sie verstanden, dass es nicht um Fetischisierung geht, ganz im Gegenteil. Das hat sie überzeugt und das gilt auch für die Crew.“
Höß mag es, gelegentlich wie ein Herrenreiter auf seinem geliebten Gaul zur Arbeit zu eilen. Er hat zudem auch noch einen Tunnel für intime Besuche im Lager, wo für ihn jüdische Gefangene abkommandiert werden.
Überhaupt ist er ein typisch „deutscher“ pflichtbewusster Organisator, der mit ebenso pflichtbewussten Ingenieuren gründlich den effizienteren Ausbau der Vergasungs- und Verbrennungsanlagen plant. Aber, wie gesagt, das geschieht alles beiläufig – vom Lager selbst sieht man nichts. Es sind nur jene ominösen Hintergrundgeräusche, die mit dieser starken Filmmusik durchwirkt sind.
Jonathan Glazer – Regisseur:
„Wir waren nicht in einem Filmstudio, das tausend Meilen von diesem Ort entfernt war. Wir waren 50 Meter vor den Mauern von Auschwitz. Wir waren also dort, und es gab unbestreitbar eine Kraft und eine Konzentration, die mit dieser Nähe einherging. Und ich bin davon überzeugt, dass diese Atmosphäre in jedem Pixel dieses Films enthalten ist.“
James Wilson – Produzent:
„Wir sind irgendwann von der Romanvorlage abgewichen und in die Welt der Primärforschung eingetaucht, haben die echten Häuser gefunden und haben wirklich mehrere Jahre damit verbracht, Material zu sammeln, fast wie in einer Art Ritual, ohne zu wissen, wie der Film am Ende aussehen wird. Die Entwicklung ist also an sich eine Art Prozess, ein interessanter kreativer Prozess.“
Und diese intensive Arbeit war erfolgreich; mehr noch – THE ZONE OF INTEREST ist einer der wichtigsten und mutigsten Filme des Jahres. Die diversen Festivalpreise für die unterschiedlichsten Sparten begleiten weltweit den Kinostart.
Anmerkung: Rudolf Höß wurde zwei Jahre nach Kriegsende zum Tode durch den Strang verurteilt und am Ort des ehemaligen Stammlagers Auschwitz hingerichtet. Seine Frau Hedwig Höß verließ Deutschland mit neuem Ehemann und starb 1989 in den USA.