November im Jahre 1500 v. Chr.: Im Langhaus am See, man würde ihn später den Stolzenhagener See nennen, hatten die Winterarbeiten begonnen. Am Webstuhl klapperten die Tongewichte, in einer Ecke wurde getuschelt. Vor wenigen Wochen war Ella in die Großfamilie gekommen und die hatte viel zu erzählen. Sie war 14 u. stammte aus Helbra, wo es den Sonnenkult u. eine Pfahlburg gab. Es fiel ihr schwer die Frau am Webstuhl als Mutter zu akzeptieren. Sie sollte deren ältesten Sohn heiraten.
„Nun halt den Rand! Geh Wasser hohlen!“ Die Stimme der Frau war angsteinflößend.
Ella streifte ihre Jacke über, griff nach dem Krug u. verließ das Langhaus. Sie liebte diese Jacke, vor allem weil sie aus Nebra stammte u. weil sie mit Bronzeknöpfen geschlossen wurde. In dieser sumpfigen Gegend gab es so etwas nicht. Heute würde man von einer rückständigen Region sprechen.
Im November 2023 nahm der Archäologe Dr. Bauer, Spezialist für die Bronzezeit in Mitteldeutschland, erstmalig den flachen Hügel am Friedhof von Stolzenhagen in Augenschein. In kurzer Zeit würde man hier ein Umspannwerk für Fotovoltaikanlagen bauen. Das Gelände musste genau untersucht werden, weil hier 1890 sehr alte Urnen gefunden wurden.
3500 Jahre zuvor eilt Ella, umgeben von Wald, den Krug fest im Arm, den Pfad zum See hinunter. Langsam wird es dunkel. An der schmalen Wasserstelle ( sehr viel später würde man es die Badestelle der Fischerhütte nennen) fällt ihr etwas auf.
Im Schlick liegen 2 seltsame Tonscheiben mit einem Loch. Ella erkennt die Scheiben sofort, presst sie mit einer Hand an den Körper und stürmt zum Langhaus zurück: „Wagen, Wagen, Sonnenwagen“ ruft sie immer wieder!
Es sind Teile eines Kultgegenstandes, den Ella aus der Heimat kennt.( In Nebra wurde die Himmelsscheibe gefunden.)Schon die Wagenräder können der Familie Glück bringen…nun muss Ella von allen akzeptiert werden!
Doch dann über sieht sie den Stein kurz vor dem Haus und stürzt. Der Krug geht zu Bruch.
Mit erheblichem Tempo gehen die Bauarbeiten des Umspannwerkes voran. Inzwischen kann der Laie kaum mehr unterscheiden, wo Dr. Bauers Grabung endet u. wo die Fundamente für die Station beginnen. Wir sind im Jahr 2024 u. es ist Januar. Bauer, hofft, wartet, gräbt nach wichtigen aussagekräftigen Funden.
Dann stößt er auf die beiden Tonscheiben keine 80 cm unter dem heutigen Boden.
Wenig später später findet er die Scherben von Ellas Krug. Jetzt kann er endlich die Siedlung oder auch nur den Hof viel besser einordnen. Glückliche Tage im kalten windigen Januar. Der Hügel am Friedhof wird von Woche zu Woche interessanter.
Ella hat mit der Großfamilie im Langhaus weniger Glück. Ihre künftige Schwiegermutter schimpft, ja schreit, weil sie mit dem Krug so viel Mühe hatte. Sie wird handgreiflich, wobei ein Bronzeknopf von Ellas Jacke abreißt und im Dunkel des Hauses verschwindet. Vergeblich sucht das Mädchen jeden Winkel des Hauses ab.
Mai 2024. Die Grabung von Dr. Bauer ist abgeschlossen. Seit dem November 2023 gab es dann doch noch viele Funde, die genauestens untersucht werden müssen. Langsam geht der Archäologe mit einem Metalldetektor über die Grabung, dann piept es laut und deutlich.
Es ist der Bronzeknopf, den Ella vor 3500 Jahren verloren hat.
Jörg Wilbrandt aus Stolzenhagen schreibt diese Zeilen, weil er hofft, die Funde von Dr. Bauer bald im Barnim Panorama wieder zu sehen!