Mitten in der Nacht um 1 Uhr irgendwo in Brandenburg… Am Straßenrand, längst zur Fahrbahn, stehen ca. 15 Autos, abgesichert durch blinkende rote Warnleuchten. Nicht weit davon entfernt sieht man eine Gruppe von ca. 25 Menschen mit Warnwesten im Schein ihrer Taschenlampen. Alles spielt sich scheinbar fast lautlos ab. Zugegeben, von Weitem mutet diese Szene fast etwas unheimlich an. Was geschieht hier? Was tun diese Menschen hier mitten in der Nacht?
Unsere Neugier ist geweckt… Mit routinierten Handgriffen bereiten Andrea Taubenheim und Thomas Dobrosch eine Drohne mit Wärmebildkamera für den Flug vor. Einige Meter davon entfernt sind weitere Helfer damit beschäftigt, Kisten mit Gras auszulegen und verschiedene Arbeitsmaterialien, wie Funkgeräte, Handschuhe und Fangkescher unter sich zu verteilen.

Wir sind bei der „Rehkitzrettung im Barnim“.
In einem der wenigen ruhigeren Momente ergibt sich die Möglichkeit für eine paar Fragen: „Unser Team setzt sich zusammen aus Mitgliedern der Rettungshundestaffel Barnim e.V. sowie vielen „freien“, d.h. vereinsunabhängigen Helfern, denen der Tierschutz einfach „am Herzen liegt“. Jedes Jahr sterben in Deutschland, im Zeitraum der „großen Mahd“ von April bis Juni schätzungsweise 100.000(!) Rehkitze schon in ihren ersten Lebenstagen durch Mähmaschinen bei der Heu- und Grasernte. Die Jungtiere haben in ihren ersten Lebenstagen keinen natürlichen Fluchtinstinkt und „drücken“ (ducken) sich bei Gefahr einfach nur fest an den Boden – bis eben die „tödliche“ Mähmaschine kommt. Qualvolle Verletzungen und Tod sind den Kleinen sicher. Genau deshalb sind wir hier…“ – erzählt uns Herr Dobrosch von der Teamleitung, den alle hier nur kurz Tommy nennen. „In Absprache mit Jägern und Landwirten suchen wir diese abgelegten Rehkitze in genau den Feldern und Grünflächen, welche am folgenden Morgen vom Landwirt abgemäht werden“.
Dann ertönt der erste Funkspruch. „Team 1 am Ausgangspunkt bereit.“ Wenige Sekunden später ist die Drohne in der Luft. Von nun an übernimmt ein automatisches Flugprogramm die Kontrolle. Die Drohne fliegt vollautomatisch metergenau einen vorher erstellten Flugpfad ab. „Wir fliegen in ca. 50 Meter Höhe mit ca. 4,5 Meter pro Sekunde und garantieren durch den vollautomatischen Flug, dass wir keinen Zentimeter der Feldfläche übersehen.“ – erklärt uns nun die Drohnensteuerin Andrea. Dabei läßt sie den Wärmebildmonitor keine Sekunde lang aus den Augen und sucht ständig nach einem „verdächtigen weißen Punkt“ im Bild.
Plötzlich geht alles ganz schnell: Andrea stoppt die Drohne mit einem Tastendruck und schaltet den unteren Scheinwerfer der Drohne ein. Nun erkennt man auch in stockfinsterer Nacht sofort genau, an welcher Stelle die Drohne in der Luft steht. Dann folgt ihr Funkspruch: „Entfernung Team Kopter?“ Die Helfer melden die ungefähre Entfernung zur Drohne zurück und machen sich auf den Weg dorthin.
„Wir sehen unsere Helfer und den verdächtigen Wärmepunkt auf dem Monitor. Über Funk werden unsere Helfer nun zentimetergenau herangesprochen.“ – so Andrea.

Jetzt ist äußerste Konzentration gefragt: Ein Schritt zu viel und es besteht die Gefahr, ein Kitz mit den Einsatzschuhen zu verletzen. Die Spannung steigt, man kann die Konzentration aller Beteiligten förmlich spüren.
Endlich der erlösende Funkspruch: „Team 1 positiver Kitzfund, Kitz gesichert“. Ein unbeschreibliches Gefühl macht sich breit…
Sofort nach dieser Meldung setzt die Drohne ihren Flug durch die Nacht fort, Bahn für Bahn über das Feld. „Das Feld ist noch groß, und wir müssen alles schaffen bis es hell wird“ – so Andrea weiter.
Wenige Stunden später wird es langsam hell. In dieser Nacht waren es hier auf 60 Hektar insgesamt 8 Kitze, die nun in Kisten gesichert sind und am Feldrand warten. Etwas Zeit für weitere Fragen:
„Rehkitzrettung ist Teamarbeit und was unsere Helfer am Boden Nacht für Nacht leisten ist enorm“ – so Tommy weiter. „Im Frühjahr 2022 haben wir von Mai bis Juni insgesamt 109 Rehkitze retten können. Wir waren jede Nacht unterwegs und haben insgesamt 26 Einsätze absolviert. Alle unsere Helfer arbeiten ehrenamtlich. Sie investieren für die Rehkitzrettung viel Zeit und Geld. Eine große Herausforderung, gerade in Zeiten „teurer Tankstellen“. Daher sind wir dringend auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Nur so können wir diese Arbeit Jahr für Jahr leisten.“
Plötzlich Motorgeräusche! Aus der Ferne rollt eine Mähmaschine an. „Das ist der Landwirt. Mit ihm haben wir den genauen Begin der Mäharbeiten für um 06:00 Uhr vereinbart. Jetzt muss alles wirklich schnell und präzise ablaufen, damit die kleine Kitze schnellstens wieder aus den Kisten kommen.“

Und, wird die Ricke ihr Kitz auch wirklich wiederfinden und es wieder annehmen? „Ja, wenn wir gewissenhaft arbeiten und wir keinen menschlichen Geruch auf das Kitz übertragen, so ist das ziemlich sicher. Die Bindung zwischen Muttertier und Kitz ist beim Rehwild recht stark ausgeprägt. Unterstützend ruft das kleine Kitz seine Mutter auch nach dem Freilassen mit lauten schrillen Tönen.“
Gegen 11:00 Uhr vormittags wird zusammengepackt. Ein langer Einsatz geht zu Ende. Müde aber unendlich zufrieden verabschieden sich die Helfer voneinander. Das Leben von 8 kleinen Kitzen kann weitergehen… Auch wir sagen Danke für eine Nacht voller spannender und emotionaler Eindrücke.
Übrigens: Die Rehkitzrettung im Barnim sucht dringend weitere engagierte Helfer, die das Team mit ihrer Arbeit unterstützen wollen. Über Ihren Anruf freut sich Tommy unter Tel.: 0170-3819599.
Möchten Sie die Arbeit der Rehkitzrettung im Barnim finanziell unterstützen? Auch das geht ganz einfach:
Rettungshundestaffel Barnim e.V.
Konto: IBAN: DE83 1705 2000 0940 0708 80
BIC: WELADED1GZE