Es ist schon so: ein neuer Film von Andreas Dresen ist immer ein Ereignis. Jetzt hat er, gemeinsam mit seiner Autorin Laila Stieler, wieder einen Film gemacht, der nicht ohne Grund „IN LIEBE…“ heißt.
Es geht um Hilde und Hans, junge Widerstandskämpfer der „Roten Kapelle“, die im Strafgefängnis Plötzensee von den Nazis ermordet wurden (Hans Coppi 1942 erhängt – Hilde Coppi 1943 enthauptet). Aber Dresens Film ist dennoch kein Heldenepos; es ist vielmehr ein erstaunlich unangestrengter, aber zutiefst berührender Film geworden, über junge Liebe, das Mutterwerden, Mut, Verantwortung und Solidarität.
Andreas Dresen:
„Ursprünglich sollte das ganze Projekt mal eine sechsteilige Fernsehserie werden – über Frauen im Widerstand. Das hatte Laila Stieler angefangen und der Film über Hilde Coppi war, wenn man so will, das Pilotprojekt. Und dann fanden aber alle Beteiligten, dass das eher was fürs Kino wäre – und da kam ich ins Spiel. Die Hauptfigur, die Hilde Coppi hat mich einfach total berührt und beschäftigt. So eine sanfte, liebevolle Frau mit einem ganz feinen Instinkt für das, was richtig ist oder was falsch. Die so nach und nach in dieser Geschichte wächst und immer stärker wird, auch obwohl sie sich selber wahrscheinlich nie als Widerstandskämpferin bezeichnet hätte, sondern sich eher als ängstlichen Menschen empfunden hat.“
Es heißt ja, dass Hilde Coppi eher vorsichtig war und sich z.B. auf dem Sozius des Motorrads von Hans Coppi überhaupt nicht wohlgefühlt habe. Aber im Gefängnis zeigt sie dann ohne heldisches Pathos – trotz aller Angst – Courage und eine große Würde.
Wir sehen im Film diese jungen Menschen in sehr alltäglichen Situationen, dort wo sich junge Menschen halt so treffen – am Strand, beim Segeln, auf einer Party usw. Und in liebevollen Situationen, weil sich Hans und Hilde damals ineinander verliebten…
In der DDR hatte man schon ihre Namen parat, aber man hatte dennoch kein wirkliches Bild von den dazugehörigen Menschen…
Andreas Dresen:
„Das ging mir tatsächlich auch so. Also Hilde und Hans Coppi – zumindest im Osten – da gab es Straßen, die nach ihnen benannt worden sind, Schulen, Kindergärten. Im Westen weitestgehend unbekannt. Das ist ja auch sehr interessant, weil der Widerstand der sogenannten Roten Kapelle wurde im Osten verklärt zu einer kommunistischen Widerstandsgruppe. Im Westen waren das Vaterlandsverräter, weil die ja Spionage angeblich gegen Deutschland und für die Russen betrieben haben. Es hat tatsächlich erst 2009 einen Beschluss des Deutschen Bundestages gegeben, wo diese Nazi-Urteile gegen die Gruppe aufgehoben worden sind. Im Osten hatte ich immer nur ein bisschen das Problem, dass Widerstandskämpfer so Supermenschen waren, zu denen man nur aufschauen konnte, weil die ja so mutig waren, so unfehlbar und so tapfer und nie gezweifelt haben. Ich fand dann wirklich sehr spannend, als ich zum ersten Mal Fotos von der Roten Kapelle gesehen habe. Das sind fast alles Bilder, wo sie an Badestellen sitzen, im Segelboot, sehr rührend irgendwie. Und man begreift plötzlich: die sind jung gewesen, die hatten auch ein Leben vor sich und die haben auch nicht rund um die Uhr Flugblätter gegen die Nazis gedruckt. Die haben auch noch andere schöne Dinge gemacht.“
Die Besetzung so einer besonderen, einer so sensiblen und verletzlichen Figur wie Hilde Coppi ist sicher eine Herausforderung. Wie verlief das Casting?
Andreas Dresen:
„Liv (Lisa Fries) war, ehrlich gesagt, meine erste Idee für die Besetzung. Man geht natürlich, wenn man weiß, jetzt nimmt man den Film in Angriff, erst mal die Schauspielerinnen durch, die man kennt. Und ich blieb relativ schnell bei Liv hängen, weil ich zum einen finde, dass sie eine ganz tolle Schauspielerin ist, zum anderen auch, wie ich mittlerweile weiß, das ist ein ganz wunderbarer Mensch. Sie hat so etwas Durchscheinendes, das finde ich bei ihr sehr schön. Sie hatte sich selber so gar nicht in der Rolle gesehen, weil, sie ist ja eher so eine Berliner Pflanze, ein bisschen burschikos, wie man sie auch aus „Babylon Berlin“ kennt. Doch man kann auch in ihren Filmen sehr schön hinter dem Gesicht die innere Bewegung erkennen. Das ist natürlich für einen Regisseur ein unheimliches Geschenk, wenn man einen Schauspieler beobachten kann und quasi seine Gedanken, seine Gefühle liest. Und es gab mir dann die Möglichkeit, lange Einstellungen zu drehen. Man schaut ihr zu, und sie hält die Spannung. Das ist ganz, ganz toll.“
Liv Lisa Fries (während der Berlinale-Pressekonferenz):
„Also ich hab mich entschieden, diesen Film zu machen – mit einem der besten Filmemacher, die wir haben – Andreas Dresen. Ich bin mit seinen Filmen groß geworden.
Und was mir wirklich wichtig ist, dass ich eine Figur gespielt habe, einen Menschen, den es gab – Hilde Coppi – die eine sehr leise Person war. Und was mich interessiert und was ich wichtig finde, dass wir mehr leise Töne zulassen!“
Und genau das ist Dresen gelungen. Sein Film kommt ohne Nazi-Spektakel, ohne Aufmärsche und Hackenkreuz-Fahnenmeere aus.
Andreas Dresen:
„Auch der Schrecken kennt einen Alltag, würde ich sagen. Wir wollten die gängigen Nazi-Filmklischees vermeiden, die wir so im Kino kennen. Es gibt ja dafür fast einen inneren Kanon: So sepiafarbene Bilder gehören dazu, überbordende Dekorationen, blankgewienerte Stiefel, wehende Hakenkreuzfahnen, prügelnde SA-Horden – das ganze Programm…
Wir wollten versuchen, das aber so dicht wie möglich auch an einen gegenwärtigen Alltag heranzuführen. Und ich meine, auch ein politisches Terrorregime basiert auf einer breiten Masse von Menschen, die sich einfach nur anpasst oder opportunistisch verhält. Und der Alltag kann dann durchaus auch ein freundlicher sein – oder zumindest ein sachlicher. Der Richter, der Hilde da verurteilt, meint es scheinbar ja sogar gut mit ihr. Es ist trotzdem ein Todesurteil. Und auch wenn der Gestapo-Beamte, der schwangeren Hilde den Koffer trägt, bringt er sie trotzdem ins Gefängnis. Ich will damit sagen, der Terror und die Gewalt basiert auf einem Fundament von Mitläufern. Ich fand es sehr reizvoll, sich den Film anzuschauen und sich zu fragen, auf welcher Seite hätte ich denn gestanden?“
Die Kameraarbeit wurde von Judith Kaufmann übernommen. Sie schuf eine herausragende, sehr eindrückliche Atmosphäre. Sowohl vom Leben in den frühen 40er Jahren als auch in der Isolation des Strafvollzugs. Gerade erst hat Judith Kaufmann so bemerkenswerte Filmen wie DAS LEHRERZIMMER und DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS gedreht und dies ist nun ihre erste Zusammenarbeit mit Dresen.
Andreas Dresen:
„Es ist ja zum Teil ein wirklich sehr intimer Film. Es ist ein Film, der eine Frauenfigur im Zentrum hat und viele andere starke Frauen auch zeigt. Und ich wollte hier tatsächlich gerne eine Frau hinter der Kamera haben. Ich schätze und liebe die Arbeit von Judith Kaufmann seit vielen, vielen Jahren und finde, sie ist auch eine ganz, ganz tolle Kollegin. Und dann habe ich sie einfach getroffen und gefragt, ob sie sich das vorstellen könnte. Und ich würde jetzt im Nachhinein sagen: Perfect match! Wir haben uns wirklich in allen Punkten super verstanden und es war eine sehr glückliche Zusammenarbeit. Ich freue mich auch sehr über die Bilder, die sie gefunden hat, die nicht kitschig sind, die nicht historisch verklärend sind, die so eine filmische Rauheit haben. Und die beiden Welten, in denen der Film spielt – das Gefängnis, das Grau-Blaue, auch ein bisschen düstere und diese Befreiung, wenn man rausgeht in die Liebesgeschichte, die Natur, der See, die Sonne, das Licht – da hat sie wirklich wunderbare Bilder für gefunden.“
Und wie das konkret für das Filmteam: unentwegt mit so einer barbarischen Situation befasst zu sein, ist das nicht enorm belastend?
Andreas Dresen:
„Also der Film hat eine ganze Reihe von Szenen, die uns ganz schön an die Grenze getrieben haben oder auch darüber hinaus. Weil, das sind einfach historisch belegte Situationen, die eigentlich unvorstellbar sind. Also schon diese Protokolle zu lesen – die Nazis haben ja alles auf schreckliche Art protokolliert. Diese Hinrichtung: an einem schönen Sommerabend am 5. August 1943 wurden 13 Frauen in Plötzensee hingerichtet, in 35 Minuten. Immer mit der Guillotine im 3-4 Minuten Abstand, alles protokolliert. Und sich vorzustellen, die Vögel singen, die Sonne geht langsam unter – und da stehen 13 Frauen Schlange für ihren eigenen Tod. Tut mir leid, da kann ich Schauspielern schwer was zu sagen, was da in einem vorgeht. Weil ich es mir schlichtweg nicht vorstellen kann. Und so ging es uns an vielen Punkten bei dieser Erzählung. Der Film hat irgendwie dazu geführt, dass wir uns alle sehr viel öfter in den Armen gehalten haben als bei anderen Produktionen davor.
Es gibt ja von Hanna Arendt das tolle Buch „Die Banalität des Bösen“. Da geht es um Eichmann. Und der hat sich ja bei dem Versuch der Rechtfertigung von dem, was er gemacht hat, darauf berufen, dass er eigentlich nur Vorschriften erfüllt hat und nur nach Recht und Gesetz gehandelt hat. Die Frage ist, entbindet einen das von jeglicher moralischer Verantwortung? Die Nazizeit wäre nicht so schrecklich gewesen, wenn sie nicht funktioniert hätte auf der Basis von unfassbar vielen Leuten, die einfach nur mitgemacht und Ja gesagt haben. Sie haben sich auf Vorschriften berufen oder das gemacht, was von ihnen verlangt wurde, ohne es in Frage zu stellen.
Und dann ist es eben toll, wenn man sieht, dass es so eine Gruppe gab, wie die Rote Kapelle, wo ein Querschnitt der deutschen Bevölkerung vertreten war. Von der Schülerin bis zum Professor, vom Offizier im Reichsluftfahrtministerium bis zum Proletariat. Hilde und Hans Coppi kommen aus dem Proletariat. Also doch eine große Bandbreite an Menschen, die sich diesem Mitläufertum widersetzt haben. Und auch davon wollten wir natürlich erzählen.“
Bereits während der ersten Pressevorführung auf der Berlinale konnte man erleben, was für einen starken emotionalen Eindruck dieser Film auf seine Zuschauer macht. Viele Kollegen hatten Tränen in den Augen.
Andreas Dresen:
„Bei unserer Premiere im Berlinale-Palast war es ein wahnsinniges Erlebnis zu spüren, was der Film mit den Menschen dort im Saal gemacht hat. Das war für mich eine der unglaublichsten Erfahrungen meines Lebens, muss ich sagen. Es war so eine emotionale Welle, die auch über uns als Filmteam kam. Die zurückkam von den Zuschauern.
Und ich dachte: Ja, dafür lohnt sich das! Das ist die Begegnung mit dem Publikum, das gemeinsame Erfahren einer Emotion – zu weinen, zu lachen. Und dieses Gemeinschaftserlebnis, das ist Kino, das kann Film. Und das ist toll und das ist dann vielleicht hilfreicher als manch eine anstrengende, ermüdende politische Diskussion, die wir gegenwärtig so häufig führen.“
IN LIEBE EURE HILDE läuft ab dem 17. Oktober in den Kinos.