Bernau: Nach 47 Jahren und 4 Monaten verlässt Bibliothekarin Ute Schindler ihren Arbeitsplatz bei der Stadt Bernau in Richtung Ruhestand. „Sie sind die dienstälteste Mitarbeiterin der Stadt und eine sehr beliebte obendrein. Selbstverständlich gönnen wir Ihnen Ihren wohlverdienten Ruhestand, aber wir lassen Sie nur ungern gehen“, sagte Bürgermeister André Stahl zur Verabschiedung am Mittwoch, dem 19. März.
An Ute Schindler gewandt erklärte Bibliotheksleiterin Gabriele Karla schmunzelnd: „Monster, Geister und volle Terminpläne konnten Sie nicht schrecken. Sagenumwobene 47 Jahre haben Sie Kinder in Bücherwürmer und Leseratten verwandelt und ihnen die Magie der Fantasie vermittelt. Sie werden uns definitiv fehlen mit ihrem großartigen Engagement, ihrem reichen Erfahrungsschatz sowie ihrer Ruhe und Gelassenheit!“
Seit 1977 in der Bibliothek angestellt
„Seit 1. Dezember 1977 bin ich im Rathaus angestellt“, resümiert Ute Schindler. Ursprünglich hatte sie nach dem Abitur ein Studium der Anglistik und Slawistik an der Pädagogischen Hochschule Potsdam aufgenommen, um Lehrerin zu werden. „Bei Hospitationen in einer Babelsberger Schule habe ich aber gleich im ersten Semester Zweifel bekommen, ob der eingeschlagene Weg für mich der richtige ist“, berichtet sie.
Nach einem Termin beim Amt für Arbeit stand für sie fest: Ich werde Bibliothekarin. Am 1. Januar 1978 startete sie ihre Ausbildung zur Bibliotheks-Facharbeiterin. „Da ich mit 19 Jahren damals zu alt war für eine reguläre Ausbildung erwarb ich meinen Abschluss berufsbegleitend im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung“, so Ute Schindler. „Mit dem Prädikat Auszeichnung“, wie sie leise ergänzt.
Ute Schindler ist in Danewitz aufgewachsen, heute ein Ortsteil von Biesenthal. Da gab es zwar keine Bibliothek, die sie hätte regelmäßig besuchen können, aber ihre Schule verfügte über einen gut bestückten Bücherschrank. „Dort fand ich ausreichend Literatur zum Schmökern und entdeckte meine Liebe zu den Büchern“, erzählt die heute 66-Jährige.
Bibliothekarin war allerdings kein Beruf bei dem man reich werden konnte. Auf Ute Schindlers erstem Gehaltsstreifen waren 375 DDR-Mark brutto verbucht, was 271 DDR-Mark netto entsprach für 43,5 Stunden pro Woche. „Mich hat der Inhalt meiner Arbeit ‚reich‘ gemacht“, sagt Ute Schindler schmunzelnd.
Kinderbibliothek und Phonothek
Von Anfang an war sie in der Kinderbibliothek beschäftigt und von Juni 1978 bis März 1985 gleichzeitig auch die Leiterin der Phonothek. „Wir hatten hier in Bernau im Radioladen ein Abo für Lizenzplatten für die ‚heiße Rockmusik‘ aus dem Westen. Kinderschallplatten, klassische Musik, Märchen und andere Platten sowie Kassetten von Amiga, Eterna und Litera haben wir in dem großen Plattenladen Am Alexanderplatz/Ecke Karl-Liebknecht-Straße gekauft. Dafür verwaltete ich einen Etat von fünf- bis sechstausend DDR-Mark pro Jahr“, erinnert sich Ute Schindler.
Parallel dazu leitete sie ab Oktober 1983 die Kinderbibliothek und kümmerte sich um den Bestand an Kinderbüchern und dessen weiteren Aufbau und um die zahlreichen Veranstaltungen für die Jüngsten. Außerdem absolvierte sie von September 1981 bis Juli 1986 ein Fernstudium zur Diplom-Bibliothekarin an der Fachschule für Bibliothekare Leipzig. Einmal pro Woche fuhr sie in die Außenstelle der Fachschule nach Berlin-Prenzlauer Berg an den Kollwitzplatz zum Präsenzunterricht.
Im März 1985 kam ihr Sohn zur Welt. Nach einer kurzen Auszeit von nur 20 Wochen ging es fleißig weiter mit dem Studieren und Arbeiten. Schon wie ihre Ausbildung schloss die gut sortierte Frau auch ihr Studium mit Auszeichnung ab und erhielt darüber hinaus als eine der Jahrgangsbesten eine Ehrenurkunde des damaligen Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen.
Die Liebe zum Beruf ist Ute Schindler bis heute erhalten geblieben. Als Ausbilderin gibt sie sie seit 1996 gepaart mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung an die Auszubildenden in der Bibliothek weiter.
Ihre Liebe zum Beruf legt sie auch in ihre großartigen Veranstaltungen, die sie für die Kinder in der Stadtbibliothek an der Breitscheidstraße 43b organisiert. 2024 waren es 144 – so viele wie nie zuvor.
Vorlesewettbewerb, Bilderbuch-Kino, Gespenstervormittage
Der „größte Brocken“ auf Ute Schindlers To-Do-Liste ist seit vielen Jahren der Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels. Stets im Februar treffen sich die Sieger der Schulentscheide, um die beste Vorleserin oder den besten Vorleser des Landkreises Barnim zu küren. Neben dem Organisatorischen wie beispielsweise dem Zusammenstellen einer Jury, wählt sie alljährlich das Buch für die entscheidende Runde des Wettbewerbs aus. „Im ersten Teil dürfen die Gewinner der Schulwettbewerbe Textpassagen aus dem ihnen vertrauten Lieblingsbuch zum Besten geben. In der entscheidenden Runde bekommen sie von mir ein ihnen unbekanntes Buch“, berichtet die Bibliothekarin. Dafür sichtet sie im Vorfeld zahlreiche Neuerscheinungen, die für Mädchen und Jungen der Klassenstufe 6 geeignet sind und trifft dann aufgrund ihrer Erfahrungswerte die Entscheidung.
Ein „Publikumsmagnet“ in der Kinderbibliothek sind die Bilderbuch-Kinos für Mädchen und Jungen ab drei Jahren. Hierfür kann Ute Schindler auf moderne Technik und einen liebevoll gestalteten Vorlese-Bereich mit Sitzpodesten und bunten Sitzkissen zurückgreifen. „Früher habe ich vorgelesen und das Buch dann zu den Kindern umgedreht, damit sie die Illustrationen betrachten konnten. Heute kann ich die Bilderbuch-Kino-Bücher bei den Verlagen herunterladen und die Abbildungen via Beamer auf die Leinwand projizieren“, freut sich Ute Schindler über die Erleichterung, die die moderne Technik mit sich bringt.
Obwohl Schauspielerei nicht zu ihrem Studieninhalt gehörte, beherrscht die Bibliothekarin sowohl die lauten als auch die leisen, die hohen und die tiefen Töne, kann allerhand Tiergeräusche imitieren und beim Vorlesen in verschiedene Rollen schlüpfen. In der Weihnachts- und Osterzeit veranstaltet Ute Schindler fast täglich ihre beliebten Bilderbuch-Kinos, weil die Nachfrage so groß ist. „Ich mache gar keine Werbung mehr für meine Veranstaltungen. Sie sind schon zu einem Selbstläufer geworden“, so die einsatzbereite Bibliothekarin.
Auch für die Einführungsveranstaltungen in der Bibliothek für Vorschulkinder, Erst- und Zweitklässler hat sich Ute Schindler etwas einfallen lassen. Die macht nämlich nicht sie allein, sondern sie holt sich Unterstützung beim Fuchs, der noch nicht lesen kann und immer von Pippilothek spricht. Wenn die Maus dann ihre Freundin das Huhn hinzuruft, das schon lesen kann, kommen die Mädchen und Jungen mit Ute Schindler kinderleicht ins Gespräch darüber, was eine Bibliothek alles zu bieten hat. „Ich versuche, mit den Kindern in einen Austausch zu kommen und sie auch mal raten zu lassen, beispielsweise wie lange man ein Buch in der Bibliothek ausleihen kann“, so die kinderliebe Bibliothekarin, die ihre Begeisterung für Bücher dabei auf die Jüngsten „hinüberschwappen“ lässt und ihnen nebenbei auf spielerische Weise die Verhaltensregeln erklärt, die in einer Bibliothek eingehalten werden müssen.
Ein Renner in der Bibliothek sind auch Ute Schindlers Gespenstervormittage, bei denen drei Gruppen auf Schatzsuche gehen und an drei Stationen knifflige Aufgaben lösen, anschließend zehn Briefe in Bücherregalen, Papierkörben und an anderen seltsamen Orten ausfindig machen müssen, um den verschwundenen Bücherwurm zu befreien. „Diese Veranstaltung, die wir mittwochs durchführen können, wenn die Bibliothek geschlossen hat, bietet reichlich Spaßpotenzial, erfordert ‚Gespensterwissen‘ und wird mit einem Schatz vom Bücherwurm belohnt“, erzählt Ute Schindler schmunzelnd.
Ernsthaft geht es zu, wenn Ute Schindler mit den Schülern der 5. und 6. Klassen Recherche-Übungen durchführt: Wo finde ich was, wenn ich Wissenswertes zum Anreichern für den nächsten Vortrag oder Aufsatz brauche? Oder wenn ich herausfinden möchte, wo die Abenteuerliteratur in der Kinderbibliothek bzw. die Krimis in der Jugendabteilung stehen?
Kinderbibliothek gut bestückt
Um die Kinderbibliothek aktuell zu halten, holt sich Ute Schindler jedes Jahr Anregungen bei der Buchmesse in Leipzig, recherchiert im Internet, durchforstet Verlagsverzeichnisse und hält Augen und Ohren offen beim Fernsehen und Zeitunglesen. Wenn sie Thekendienst hat, hört sie genau zu und freut sich über Wünsche von Kindern und Eltern – auch wenn möglicherweise nicht alles davon angeschafft werden kann.
„Ich hoffe sehr, dass es unsere langjährigste Mitarbeiterin hin und wieder doch in die Bibliothek zurückzieht, damit sie bei Veranstaltungen weiterhin ihre Begeisterung für Bücher und die Freude am Lesen an die Kinder weitergibt“, so Bibliotheksleiterin Gabriele Karla.