Barnim: Als mein mittlerer Sohn Benni zwei Jahre alt war, kletterte er in solch kraftvoller Unbekümmertheit über den Zaun, den ich um den Fischteich im heimischen Garten gezogen hatte, dass er vornüber in das immerhin 1,50 m tiefe Bassin fiel. Sein Vater saß zu diesem Zeitpunkt im Büro, seine Mutter telefonierte im Wohnzimmer, beide ahnten nichts vom drohenden Unheil. Bennis fünfjähriger Bruder Wanja aber, der in unmittelbarer Nähe war, reagierte intuitiv vollkommen richtig: ohne seine Mutter aus dem nur 10 m entfernten Wohnzimmer zu Hilfe zu holen, zog er als erstes den kleinen Benni aus dem Wasser. Er bewahrte ihn vor schweren gesundheitlichen Schäden, vielleicht sogar vor dem Tod. Was in den kommenden Stunden und Tagen an Bewunderung, Lob und Dankbarkeit dem Bub im Vorschulalter von seinen Eltern, Bekannten und Verwandten und von Nachbarn ausgedrückt wurde, hat ihn – so habe ich es in Erinnerung – nachhaltig stolz gemacht und geprägt für sein ganzes weiteres Leben, in dem Sinne, dass Menschen in Not geholfen werden muss. Sofort. Und ohne nachzudenken.
Knapp 30 Jahre später lese ich immer wieder einen Gedanken zum Thema Rettung ertrinkender Flüchtlinge im Mittelmeer, den der fünfjährige Wanja schon wusste: „Menschen in (See-) Not muss man retten. Punkt.“
Mitte Januar ging die Meldung durch die Presse, dass das Bündnis „United4rescue“(Gemeinsam für Rettung), das bisherige Forschungsschiff „Poseidon“ ersteigert habe, Inzwischen wurde es zum Seenotrettungsschiff umgebaut, auf den Namen „Seawatch3“ getauft und ist auf dem Weg ins Mittelmeer. um dort in Seenot geratene Menschen aufzunehmen und Leben zu retten. Das Bündnis war vom Vorsitzenden des Rats der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Bischof Bedford-Strohm initiiert worden und hat inzwischen über 1 Million € Spenden gesammelt, darunter auch eine Spende des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz Kardinal Marx in Höhe von 50.000 €.
Als ich diese Meldung las, schoss mir die Liedzeile eines Kirchenliedes in den Kopf: „Es kommt ein Schiff geladen“. Nein dies Lied handelt nicht von Flüchtlingsrettung, sondern es ist ein Weihnachtslied. Das Lied handelt von der Freude der Ankunft des Messias, das Schiff ist geladen mit Gottes Sohn. Ich stellte mir nun ein auch mit den Mitteln der christlichen Kirchen finanziertes Seenotrettungsschiff voller Flüchtlinge vor und dachte an das Jesuswort ›Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan‹.“ (Matthäus 25,40) Und noch deutlicher und für mich berührender war beim Nachlesen die Zeile aus der zweiten Strophe dieses Liedes „Das Segel ist die Liebe!“. Ja, das Segel des Seenotrettungsschiffes P“Seawatch3“ – so empfinde ich es – ist die christliche Nächstenliebe! Ich weiß sehr wohl, dass es innerhalb der evangelischen (wie auch der katholischen) Kirchengemeinden gespaltener Meinung zur Frage des Umgangs mit Flüchtlingen gibt. Das widerspiegelt nur die Zerrissenheit in der gesamten Gesellschaft.
Um diese Zerrissenheit zu überwinden, braucht es aus meiner Sicht viel mehr Anstrengungen wieder mehr einander zuzuhören, toleranter gegenüber anderslautenden Meinungen zu werden und unsere Fähigkeit zu entwickeln, Andersartigkeit egal ob in Meinungen, Hautfarbe oder politischer oder sexueller Orientierung als Chance für Bereicherung und nicht als Bedrohung zu empfinden.
Aber das Retten ertrinkender Menschen, darf kein Streitpunkt von Pro und contra sein, Ertrinkende aus dem Wasser zu holen, das wusste schon der fünfjährige Wanja, das ist die Pflicht jedes Menschen. Punkt. Deshalb freut es mich, dass dieses konkrete Projekt der Rettung von Menschenleben auch ein ökumenisches Projekt (also ein gemeinsames beider christlicher Kirchen) geworden ist.
Auch in Wandlitz engagieren sich evangelische wie katholische Christen gemeinsam mit anderen für die solidarische Aufnahme Geflüchteter. Der Runde Tisch Willkommen wurde 2012 von der damaligen Pfarrerin der evangelischen Gemeinde, Janet Berchner (natürlich als parteien- und konfessions-ungebundenes) Bündnis gegründet, und der katholischen Diakon Peter Dudyka und die langjährigen Mitarbeiterin der Evangelischen Akademie Hannah Kickel-Andrae fungieren seit Jahren als dessen Sprecher/in.
Die gemeinsame Aktion von Kirchen und Organisationen der Zivilgesellschaft „United4rescue) zeigt für mich: Die christlichen Kirchen in Deutschland fühlen sich verantwortlich für das, was an den Außengrenzen der Europäische Union passiert. Sie wollen nicht hinnehmen, dass noch mehr als jene 35.000 die seit 1988 im Mittelmeer ertrunkenen sind, den „nassen Tod“ erleiden. Die dürfen das nicht nur, es ist aus meiner Sicht geradezu ihre Pflicht.
Dass die EKD wie auch wichtige Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland zusammen mit vielen anderen Organisationen mit der Anschaffung des Seenotrettungsschiffes “Seewatch3“ ein Zeichen gesetzt haben, macht mich als Mitglied dieser Religionsgemeinschaft stolz. Auf unserer Kirche, auf die Barmherzigkeit und Solidarität in unserem Land, und Hoffnung, dass das grausame Ertrinken (lassen) im Mittelmeer endlich ein Ende finden kann.