Der 2015, für THE IMITATION GAME mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle, oscarprämierte Drehbuchautor Graham Moore präsentiert nun mit THE OUTFIT sein Regiedebüt. Ein faszinierender Film, der ausschließlich in einer Schneiderwerkstatt spielt und das Handwerk feiert – des Schneidermeisters wie des Filmemachers…
Leonard Burling (Mark Rylance) ist ein Maßschneider, der seinen Beruf mit höchster Kunstfertigkeit ausübt, der irgendwann aus London nach Chicago umsiedelt und dort bald ohne Vorsatz zum Leibschneider der Gangster wird.
Graham Moore:
„Für mich war es wirklich wichtig, dass die Zuschauer die Psychologie von jemandem wie Leonard verstehen, der Jahrzehnte seines Lebens diesem überaus präzisen Handwerk gewidmet hat. Die Leute ziehen eine Jacke oder ein Hemd an und verstehen oft nicht, wie kompliziert es ist, so etwas herzustellen, und zwar auf einem Niveau, das nur jemand wie Leonard erreichen kann. Es sind Hunderte von Schritten nötig, die man im Voraus planen muss, um ein perfektes Outfit anzufertigen.“
Dieser Film ist durchaus eine Hommage an den „Film Noir“, diese berühmten, präzis gebauten amerikanischen Gangsterfilme der sogenannten „Schwarzen Serie“ aus den 1940er/50er Jahren. Eine Verbeugung vor dem Genre, vor der Handwerkskunst, einschließlich des Filmemachens.
Graham Moore:
„Ja, THE OUTFIT ist ein Film, der meiner Meinung nach in gewisser Weise zeitgemäß und in zugleich zeitlos ist. Ich denke, einen guten Film zu schreiben, einen guten Film zu machen, ist etwas, woran wir als Kultur seit über 100 Jahren gearbeitet haben. Es gibt einige Dinge, die wir herausgefunden haben, wie man sie macht, und andere, die wir nicht herausgefunden haben. Es gibt Dinge, die schon damals wirklich gut funktioniert haben und die immer noch ziemlich gut funktionieren. Und es gibt neue Dinge, die wir immer noch jeden Tag herausfinden.
Eine der wirklich aufregenden Sachen bei den Dreharbeiten war für mich, dass das Filmemachen in gewisser Weise ein Handwerk ist wie die Herstellung von Anzügen. Es bedarf hunderter und aberhunderter Schritte. Es erfordert so viel Planung und Vorbereitung, Übung und Training. Als Filmemacher habe ich das Glück, dass ich das nicht allein machen muss. Leonard, unsere Hauptfigur, muss allein in seinem Atelier sitzen und einen Anzug mit nichts als seinen eigenen Händen fertigen. Ich kann mich auf brillante Mitarbeiter wie unseren Kameramann, unseren Designer und vor allem Schauspieler wie Mark Rylance verlassen…“
Der Kameramann Dick Pope hatte in den bescheidenen Räumen der Schneiderwerkstatt das Kammerspiel auf immer wieder neue Weise, bildstark zu präsentieren. Der Szenenbildnerin Gemma Jackson gelang trotz beengtem Ambiente ausreichend Spielraum zu schaffen und der Komponist Alexandre Desplat brachte auch etwas von der klaustrophoben Situation in den Sound. Dass sich der ganze Film auf diesen einen Schauplatz konzentriert, ist auch der Corona-Situation geschuldet. Doch die Filmemacher wussten das atmosphärisch zu nutzen.
Und dann die Schauspieler! Vor allem Sir Mark Rylance – er gewann unter anderem einen Oscar für Steven Spielbergs BRIDGE OF SPIES. Rylance war übrigens 10 Jahre künstlerischer Leiter und Schauspieler am Londoner Shakespeare-Globe-Theater.
Graham Moore:
„Ich habe noch nie einen so präzisen und engagierten Schauspieler gesehen wie Mark Rylance. Er ist ein solcher Meister seines Fachs. Er kümmert sich um jedes einzelne Detail. Mark Rylance könnte das Set betreten und wüsste wo jede Nadel und jeder Faden in jeder Schublade des Sets liegt, es gibt nichts, das seinem Blick entgeht, und es gibt keinen Moment, der nicht vorher sorgfältig und akribisch durchdacht und überlegt wurde. Ich denke, dass Mark in gewisser Weise wie unsere Hauptfigur ist: eine Art erstaunlicher, brillanter Handwerker, der jahrzehntelang trainiert hat, um dies tun zu können. Und wenn man erst einmal am Set ist und „Action!“ sagt, ist man sich nie ganz sicher, was er machen wird, denn Mark ist sehr offen für Experimente und Improvisation. Ich erinnere mich da an einen Tag, an dem wir eine ziemlich intensive Szene drehten und Dick Pope, unser wunderbarer Kameramann, hustete sehr laut in der Mitte der Aufnahme. Aber Mark hat den Husten benutzt. Er tat so, als wäre es eine der Figuren in der Szene, die hustete, und er reagierte darauf, in seinem Spiel. Mark konnte all diese Vorbereitungen treffen und sich gleichzeitig völlig offen zeigen – für jedes Geräusch, für jedem Moment, in dem wir drehen.“
Die Gangster haben Leonards Werkstatt längst als Depot für ihre Informationen und ihr Diebesgut umfunktioniert. Und es kümmert sie nicht, ob der „Cutter“, wie sich Leonard selbst bezeichnet, sie überhaupt bemerkt – er ist für sie fast unsichtbar. Sie ahnen noch nicht, dass auch dessen Schere eine scharfe Waffe sein kann…
Das Wechselspiel der Verdächtigungen, Rätsel, Intrigen und beiläufigen Morde zieht sich durch den ganzen Film und so bleibt die Spannung unausgesetzt am Köcheln, ohne sich anmaßend in den Vordergrund zu spielen. Bis dann schließlich noch die extrem gefährliche Konkurrenz des bei Leonard agierenden Gangsterclans auftaucht: Violet LaFontaine, gespielt von der attraktiven Nikki Amuka-Bird – sie filmte schon bei M. Night Shyamalan, Steven Soderbergh und den Wachowskis.
Nikki Amuka-Bird:
„Violet ist der Kopf einer rivalisierenden Gang. Sie ist ein Mafia-Boss und ich habe mich von einer echten Frau inspirieren lassen, die Madame Queen von Harlem genannt wurde. Sie war meiner Figur wirklich sehr ähnlich. Sie herrschte über das ganze Gebiet und jeder in dieser Männerwelt hatte Angst vor ihr. Es hat super viel Spaß gemacht, sie zu spielen. Ich vergaß sogar, dass ich mich gar nicht so sehr darauf konzentrierte, dass sie eigentlich eine Killerin war. Ich habe mich auf die Tatsache konzentriert, dass sie ihre Macht, genutzt hat, um sich um ihre Gemeinschaft zu kümmern. Sie sah sie als ihre Familie und beschützte sie. Für mich ist sie also eher eine Löwin als jemand, die einfach nur eine Psychopathin ist oder so etwas in der Art…“
Und wie war die Arbeit mit Graham Moore?
Nikki Amuka-Bird:
„Es war ein Traum. Ich reagiere positiv auf gute Texte. Er ist nicht umsonst ein Oscar-Preisträger. Im Drehbuch, das ich erhielt, war so gut wie kein einziges Wort überflüssig. Perfekt! Er versteht es, einen Film zu strukturieren, und er ist auch ein Mann mit einem großartigen persönlichen Stil und Geschmack. Es war also wirklich eine wunderbare Atmosphäre. Dazu einige meiner Lieblingsschauspieler: Mark Rylance ist dabei und Johnny Flynn, der den Gangster Francis spielt, ist ein Freund von mir. Wir hatten also eine Menge Spaß.“
Es gibt übrigens ein paar reale Hintergründe in der fantastisch gestrickten Gangsterstory. Da wäre zunächst der Großvater des Regisseurs, bei dem Graham Moore aufgewachsen ist. Der war ein Arzt und hatte einen berüchtigten Gangster als regulären Patienten. Und das FBI hatte tatsächlich 1956 so etwas „Neumodisches“ wie eine Abhörwanze in einer Chicagoer Schneiderwerkstatt platziert.
Graham Moore:
„In meinen Augen ist THE OUTFIT ein Thriller über Mittäterschaft. Wie lange kann man für ein Monster arbeiten und die Augen vor dessen Ungeheuerlichkeit verschließen? An welchem Punkt ist man nicht mehr nur Beobachter, sondern Komplize? Was für Geschichten erzählen wir uns selbst, um unsere eigene Untätigkeit im Angesicht der Ungerechtigkeit zu rechtfertigen?“
Für alle, die klassische Genrefilme lieben, ist die überraschend voltenreiche Dramaturgie von THE OUTFIT eine uneingeschränkte Empfehlung für den Kinobesuch.