Im Frühsommer dieses Jahres erregte in unserem schönen Städtchen Wandlitz ein „Bürgerbegehren“ die Gemüter. Es schien, die Gemeinde zu spalten. Und manche sprachen davon, dass der Riss sogar durch die Familien ging.
Viele sprechen von der „gespaltenen Gesellschaft“. Das schien bei der Initiative für ein Bürgerbegehren zur Abwahl des Wandlitzer Bürgermeisters Oliver Borchert der Fall zu sein.
Bürgerbegehren ist demokratisches Beteiligungsrecht
Dabei sichert der §15 der brandenburgischen Kommunalverfassung ein durchaus wichtiges demokratisches Bürgerbeteiligungsinstrument, von dem es dort heißt: „Über eine Gemeindeangelegenheit, die in der Entscheidungszuständigkeit der Gemeindevertretung oder des Hauptausschusses liegt, kann die Bürgerschaft der Gemeinde einen Bürgerentscheid beim Gemeindewahlleiter beantragen (initiierendes Bürgerbegehren)“.
Warum also die Aufregung? Warum hitziges emotionalisiertes Pro und Contra, schließlich Hass und Hetze in den sozialen Medien, in der kommunalen Presse und leider auch in den kommunalen Parlamentsfraktionen? Sind etwa die einen für Bürgerbegehren und die anderen dagegen? Ich meine: natürlich nicht! Ich glaube das, was so viele Menschen empört hat an diesem Vorgang, war nicht so sehr, für ein bestimmtes kommunalpolitisches Ziel eine Mehrheit in der Bevölkerung zu mobilisieren. Dass es am Ende sogar nach Aussagen der Initiatoren nur gut 3300 Unterschriften der in der Gemeinde Wandlitz ca. 18.000 Wahlberechtigten geworden sind, hat nach meiner Meinung nicht nur was mit dem Ziel zu tun, sondern vor allem mit dem Stil, der Polemik, der Verrohung der politischen Kommunikation in den Wochen dieser Initiative.
Scheiterte die Abwahl nicht auch wegen Hass und Lügen?
Wie viele andere Wandlitzerinnen und Wandlitzer war auch ich der Meinung, dass man nicht mit allen Entscheidungen des Bürgermeisters einverstanden sein muss, um dennoch Position zu beziehen gegen Halbwahrheiten und Lügen, gegen Emotionalisierung, die Polarisierung und schließlich sogar Hass. Deshalb habe ich diese Überschrift gewählt: „Bürger begehren Respekt und Toleranz“.
Bei aller Unübersichtlichkeit der Politik heutzutage, ob regional oder global, bei allem Frust über diese oder jene politische Entscheidung, sehe ich doch eine Mehrheitsmeinung der Bürgerschaft in der Richtung, das Hass und Hetze bei der Bewältigung der multiplen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, der falscheste Weg ist.
Bürger begehren Respekt und Toleranz. D. h. für mich nicht: Bürger begehren Friedhofsruhe, kritiklose Anpassung an alle staatlichen Maßnahmen, dumpfes Nachplappern dessen, was ein angebliche „Lügen- oder Mainstream- Presse“ vorkaut. Bürger begehren Respekt und Toleranz heißt auch nicht: Denkverbote, nach dem Motto „Darf man denn das jetzt gar nicht mehr sagen?“. Im Gegenteil: je komplexer die Probleme vor Ort, im Land und global, desto mehr bedarf es zu ihrer konstruktiven Lösung die Einbeziehung immer breiterer Kreise der Betroffenen. Respekt und Toleranz benennen kein politisches Ziel, sondern nur die Rahmenbedingungen, die ein konstruktives Ergebnis ermöglichen sollen.
„Nicht progressiv oder konservativ, sondern konstruktiv oder destruktiv!“
An dieser Stelle fällt mir ein Satz ein, den der damalige Apple-Gründer Steve Jobs in einem Gespräch gegenüber dem Besitzer des rechtspopulistischen amerikanischen TV Senders Fox-News aussprach „Heute kommt es nicht mehr auf den Unterschied zwischen progressiv oder konservativ an, sondern auf den Unterschied zwischen konstruktiv oder destruktiv!“
Ein Verhalten, das einen Konsens unmöglich macht, den Andersdenkenden mit Hass belegt, beleidigt und abgewertet, kann niemals einen Beitrag zur konstruktiven Lösung leisten. In meinen Augen gilt es übrigens für beide Seiten solcher Kontroversen, ob die „großen Themen“ wie Pro und Contra Flüchtlingssolidarität, Pro und Contra Schutz vor Corona-Epidemie, Pro und Contra Unterstützung der Ukraine gegen die russische Invasion, aber auch solcher „kleinen“ kommunalpolitischen Themen wie ‚Zuzug aus der Großstadt nach Wandlitz zulassen oder nicht‘.
Erfahrungen des Runden Tisches in Wandlitz
Ein Beispiel aus unserer jüngeren Ortsgeschichte soll das illustrieren: Als vor zehn Jahren die Einrichtung eines ersten Flüchtlingswohnheims in Wandlitz die Gemüter erhitzte, haben wir vom Runden Tisch Willkommen folgenden Gedanken formuliert und versucht zu realisieren: „Wir verstehen Eure Ängste, aber wir teilen sie nicht. Und wir wollen so schnell wie möglich mit Euch gemeinsam beweisen, dass sie unbegründet sind.“
In den Diskussionen über die heute notwendige politische Kommunikation fällt mitunter das Wort „demütiges Zuhören“. Das bedeutet aus meiner Sicht, dass ich – auch wenn es mir noch so schwerfällt – in eine Diskussion mit Andersdenkenden immer von der Prämisse ausgehen muss, dass die Diskussion mich bereichern könnte, dass ich etwas erfahren kann, was ich bisher nicht wusste oder nicht nachfühlen konnte. Wenn ich diese Bereitschaft nicht habe, brauche ich die Diskussion nicht beginnen, dann geht es nur um Sieg oder Niederlage und das wird unsere Konflikte, die Gegensätze und auch die gegenseitige gefühlsmäßige Ablehnung nur vertiefen.
Toleranz gegenüber Nazis?
Nun höre ich schon den Einwand: wieso kommst Du und andere dann immer mit der AfD-Keule daher?
Auch ich war tief erschüttert, dass in Bayern und noch mehr in Hessen mit 18,4% (in einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesländer) die AfD ihr bisher bestes Ergebnis in Westdeutschland erzielte. Nebenbei sollte das hoffentlich die unsinnige Diskussion: ‚Was ist schlimmer, die AfD-Erfolge in Ost- in Westdeutschland? sofort beenden.
Vor allem aber muss ich zugeben: bei Politikern der AfD, bei der Strategie dieser Partei (nicht aber bei den Wählerinnen und Wählern) kann ich wirklich beim besten Willen nicht demütig zu hören. Wenn Faschisten wie Björn Höcke davor warnen, dass Deutschland entvolkt wird, wenn Ehrenpräsident Gauland den Holocaust, den Zweiten Weltkrieg und den Hitlerfaschismus als „Vogelschiß der Geschichte“ bezeichnet, kenne ich keine Toleranz und vor diesen Meinungen habe ich auch keinen Respekt. Das in diesem Zusammenhang Anfang November nun auch der Verfassungsschutz im Bundesland Sachsen-Anhalt die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hat, ist ja nur folgerichtig
„Faschismus ist keine Meinung …“
So verkürzt es ist, so richtig finde ich den Satz: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Das ändert überhaupt nichts daran, dass (jedem Wähler sowieso aber auch) jedem Mitglied und Funktionär der AfD der Art. 1 des Grundgesetzes („die Würde des Menschen ist unantastbar“) und alle daraus abgeleiteten Rechte eines Bürgers in einer demokratischen Gesellschaft einschließlich der Unschuldsvermutung, des Rechtes auf Verteidigung usw. usw. zusteht.
Zu Gesprächs-Beginn die Gemeinsamkeiten abchecken!
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für ein konstruktives Diskussionsergebnis hilfreich ist, zu Beginn die Grenzen abzustecken, dessen, was für mich (und natürlich auch meinen Dialog-Partner) diskutierbar ist. Wer mit mir über die Belastungen der Kommunalverwaltungen durch die Aufnahme von 1 Million Ukraine Flüchtlingen und weiteren vermutlich 300.000 Asylbewerbern in 2023 sprechen will, findet in mir einen offenen und ehrlichen Gesprächspartner. Wer aber die Meinung vertritt: „Ertrinkende muss man ertrinken lassen, weil sonst Europa überfordert ist,“ mit dem sehe ich keine gemeinsame Diskussionsgrundlage.
Schließlich: in einem Leserbrief an die Märkische Oderzeitung zum Bürgerbegehren habe ich zu Beginn aus einem Gedicht von Bertolt Brecht zitiert, das er Mitte der dreißiger Jahre nach der Machtergreifung der Nazis geschrieben hat: dort heißt es: Auch der Hass gegen die Niedrigkeit/ verzerrt die Züge. /Auch der Zorn über das Unrecht /Macht die Stimme heiser.
Bertolt Brecht richtete sich mit diesen Worten ja an die Antifaschisten, an jene die sich gegen die Niedrigkeit und gegen das Unrecht auflehnten, an Humanisten und Linke. Für mich war es ein trauriges Erlebnis in der hochemotionalen Debatte um diesen Leserbrief bei Facebook zu lesen, dass so manche Befürworter des Abwahlbegehrens gegen den Bürgermeister diese Worte so verstanden haben, dass ein Befürworter dieser Initiative ein Nazi sei. Das schien mir nicht gerade ein Beispiel wirklichen Zuhörens.
Ich möchte deshalb schließen mit jenem Satz den Bertolt Brecht den oben genannten Sätzen folgen lässt: , Ach, wir/Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit/ Konnten selber nicht freundlich sein.“
Angesichts der damaligen Verhältnisse steht es uns nicht zu, Brecht und seine Zeitgenossen zu bewerten. Für die heutige Zeit möchte ich mir vornehmen, dass „wir, die wir den Boden bereiten wollen für Freundlichkeit“, selber vorleben, freundlich zu sein.
PS: Neben vielen (mir manchmal hilflos erscheinenden) Analysen warum die AfD nun auch in Bayern und Hessen so stark werden konnte, habe ich immerhin auch einige Analysen gelesen, warum und wo es gelang, der AfD-Niederlagen zuzufügen. So hat sie am 1. Oktober Wochenende sowohl die schon als sicher gewonnen geglaubte Oberbürgermeisterwahl in Bitterfeld-Wolfen und kurz vorher in Nordhausen (beides in Sachsen-Anhalt) verloren. Für solche wichtigen Niederlagen der AfD gab es immer eine zentrale Voraussetzung: dass sich die demokratischen Parteien einig waren, bei allen sonstigen Differenzen, zusammen zu stehen gegen die Feinde der Demokratie. Das wäre doch ein lohnenswertes Ziel für die Wandlitzer Kommunalwahlen am 9. Juni des nächsten Jahres!
Mit herzlichen Grüßen
Mathis Oberhof