Eberswalde: Das Darmkrebszentrum Nordostbrandenburg am GLG Werner Forßmann Klinikum Eberswalde hat Betroffene und deren Angehörige zu einem Nachmittag des Austauschs eingeladen. Mit anwesend waren auch Christa Dannehl, Leiterin der Selbsthilfegruppe Schwedt und Angermünde, sowie andere Partner aus dem Netzwerk des Darmkrebszentrums. Das Ziel: In Eberswalde soll sich eine echte Gemeinschaft gegen Darmkrebs bilden.
Es ging dann selbst für die erfahrenen Ehrenamtlichen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums am Tisch überraschend schnell. Was man denn tun könne, wenn der Gurt beim Autofahren am Stoma-Beutel drücke, wollte eine Angehörige wissen, da sprang auf der anderen Seite der langen Kaffeetafel im EBU-zent Eberswalde ein Herr auf, zog sein T-Shirt etwas hoch und zeigte einen Gürtel mit einer Schutzabdeckung aus Plastik. „Da rutscht gar nichts mehr, gestern habe ich im Garten damit sogar Muttererde gekarrt“, sagt der Herr noch und erklärt weiter, wie er regelmäßig Sport mache. Sofort tauschen sich die Betroffenen und Anwesenden untereinander aus, da hat Christa Dannehl, Leiterin der Selbsthilfegruppe Schwedt und Angermünde, noch nicht mal die Liste herumgehen lassen, in die sich die Anwesenden eintragen können.
Es sind diese kleinen Momente, die zeigen, wie wichtig der Austausch zwischen den Betroffenen ist. Die Anlage eines Stomas, also eines künstlichen Darmausganges, lässt sich bei einigen Patienten mit Dick- oder Enddarmkrebs nicht vermeiden. Andere wiederum haben nur vorübergehend ein Stoma, welches später wieder zurück verlegt werden kann. Auch Patienten mit Blasen- oder Harnleiterkrebs erhalten manchmal ein Stoma, dann jedoch für die Ableitung des Urins. Betroffene leben mit einem Beutel am Körper, der entweder Stuhlgang oder Urin auffängt und häufig täglich gewechselt werden muss. Ein Herr, der den nächsten Eingriff schon herbeisehnt, bei dem der Darmausgang wieder verschlossen wird, sitzt mit am Tisch. Er sagt: „Ich wollte die letzten Wochen gefühlt gar nicht das Haus verlassen.“ Zu groß ist bei Betroffenen die Angst, dass der Beutel undicht ist oder jemand etwas bemerkt. Man schränkt sich ein, isst vor Ausflügen oft nichts oder bleibt eben einfach zu Hause. „Ich will es endlich loswerden“, sagt der Mann und zeigt sich umso mehr beeindruckt von den Menschen im EBU-zent, die ein dauerhaftes Stoma haben. Christa Dannehl lebt seit Jahrzehnten damit. „Damals war das wie ein kleiner Kasten und kein schmaler Beutel am Körper, es gab kaum Unterstützung und die Anfangszeit war für mich sehr schwer“, erzählt sie. Ihr Mann hatte ihr zuerst die Angst genommen, sich wieder in der Öffentlichkeit zu bewegen, später waren es die Enkelkinder, die sie wieder zum Baden in der Ostsee bewegt haben. Es waren viele kleine Schritte auf dem Weg zurück zu einem selbstbestimmten Leben. „Ich habe leidenschaftlich gerne als Lehrerin gearbeitet und wollte das nach meiner Operation auch unbedingt wieder tun, aber ich brauchte für diesen Schritt auch psychologische Hilfe“, berichtet Christa Dannehl. Sie weiß: Angst muss man vor einem Stoma heutzutage nicht mehr haben. Diese Erfahrung gibt sie seit vielen Jahren weiter in der von ihr ins Leben gerufenen Selbsthilfegruppe der Deutschen ILCO e.V., der bundesweiten gemeinnützigen Selbsthilfeorganisation für Menschen mit künstlichem Darmausgang oder künstlicher Harnableitung (Stoma) sowie für Darmkrebsbetroffene und Angehörige.
Auch der ILCO ist es zu verdanken, dass Betroffene heutzutage ein normales Leben führen können. „Früher war man quasi eine ausgestoßene Person“, berichtet Christa Dannehl, „heute ist das zum Glück nicht mehr so, aber auch wir als Selbsthilfegruppe haben über die ILCO so machen Brief an das Gesundheitsamt verfasst.“ Allein bei der Auswahl und der Qualität der Materialien hat sich sehr viel getan. „Vielseitig, einfach zu handhaben und sehr gut verträglich“, erklärt Wund- und Stomatherapeut Thomas Stegemann, der der Einladung seiner Kollegin Delia Pliquett, der Leitenden Oberärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Werner Forßmann Klinikums und Ärztliche Koordinatorin des Darmkrebszentrums Nordostbrandenburg, gefolgt ist und in einem kurzen Vortrag verschiedene Stoma-Arten und Hilfsmittelvorstellt. Beide kennen die Anwesenden aus ihrem Klinikalltag. Im Darmkrebszentrum Nordostbrandenburg behandeln die Kollegen um den Leiter des Zentrums, PD Dr. med. Sascha Weiß, viele Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs als Teil eines großen interdisziplinären Teams viele Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs, übernehmen die Koordination der verschiedenen Therapieschritte und führen die operative Therapie entsprechend der modernsten Empfehlungen und Leitlinien durch. Was der Eberswalder Region noch fehlt ist eine Selbsthilfegruppe. „Wir können Betroffene bestmöglich versorgen und Angehörige sicher sehr gut beraten, aber was Menschen mit Stoma wirklich beschäftigt und welche Ängste sie durchleben, dass können nur Menschen beurteilen, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben“, meint die leitende Oberärztin. Das von ihr angeregte erste Treffen von Betroffenen und Angehörigen, Ehrenamtlichen aus der Region sowie Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik stellt den Startschuss für die Bildung einer neuen Selbsthilfegruppe im Kreis Barnim dar.
Am 24. Januar 2024 findet um 14 Uhr das nächste Treffen aller Beteiligten im EBU-Zent statt. Hierzu sind auch weitere interessierte Patientinnen und Patienten sowie Angehörige herzlich eingeladen. „Wir sind für alle Menschen mit Darmkrebs da“, sagt Christa Dannehl. Es sieht gut aus für eine neue starke Gemeinschaft für Darmkrebspatienten in Eberswalde.