„Im Westen nichts Neues“ war eine der „üblichen“ Frontmeldungen bei diesem endlosen, nur wenige Kilometer hin und her schwankenden Stellungskrieg mit den „üblichen“ Opfern des I. Weltkrieges.
Und IM WESTEN NICHTS NEUES ist der Titel eines Romans von Erich Maria Remarque von 1928, der so etwas wie eine Ikone der Antikriegsliteratur wurde. Der Dichter wurde 1917 eingezogen, schon kurz darauf verwundet und sammelte im Lazarett die schrecklichen Erlebnisse seiner Mitopfer, die er für diesen Roman literarisierte. Keine Frage, dass die Nazis sofort sein Buch mit besonderem Hass ins Feuer warfen und auch den schon 1930 gedrehten amerikanischen Film aus deutschen Kinos verbannten.
Jetzt also hat sich ein deutscher Regisseur – Edward Berger – mit der nötigen Ehrfurcht und der nötigen Verve an dieses gewaltige Opus gewagt, und es ist ihm ein überaus sehenswerter und beeindruckender Film gelungen!
Hatten Sie vor diesem besonderen Stoff nicht auch einen besonderen Respekt?
Edward Berger:
„Doch, es war schon ein bisschen idiotisch. Also, man hat dieses Buch, was ein wahnsinniges Erbe ist und noch immer eine wahnsinnige Kraft entwickelt. Ein Grund, warum ich den Film gemacht habe, war auch, dass wir uns vor zweieinhalb Jahren am Küchentisch darüber unterhalten haben. Und meistens stehen die Kinder erst mal auf: Langweilig, was die für Filme machen, interessiert uns überhaupt nicht. Aber schon beim Titel „im Westen nichts Neues“, wirbelte meine Tochter herum und sagte: Mensch, wenn du die Möglichkeit hast, musst du den Film unbedingt machen. Ich habe das Buch gerade in der Schule gelesen und ich musste bestimmt fünfmal weinen. Es ist das beste Buch, was ich je gelesen habe.
Ein Buch, das 90 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, immer noch so eine Wirkung hat… Wir sind das einzige Land in der Welt, was binnen eines Jahrhunderts zweimal seine destruktiven Impulse in die Welt getragen hat. Wenn wir das immer noch spüren, dann hat das immer noch Relevanz und Kraft. Und das war einfach stärker als die Zweifel.“
Ein Glücksfall, bzw. ein besonders sorgfältiges Casting haben für die Hauptrolle – den jungen Soldaten Paul Bäumer – den im Film noch relativ unbekannten Wiener Burgschauspieler Felix Kammerer gefunden. Er trägt diese zeittypische Figur souverän durch die nicht eben einfachen Umstände eines durchweg fordernden Kunstwerks. Er spielt einen dieser jungen Menschen, die, angeheizt von einer Manipulations-Ideologie, von „Kameradschaft“ über „Patriotismus“ bis hin zum „Nationalismus“ und „Kaisertreue“, getrieben von Waffengeilheit und den Maximen einer profithungrigen Rüstungsindustrie, in völkischer ÜBERheblichkeit und dem dazugehörigen UNTERtanengeist mit wehenden Fahnen ins Verderben stürmen. All das macht den Film zudem beängstigend aktuell.
Felix Kammerer:
„Ja, auf jeden Fall. Also ich finde es ganz interessant, weil der Film jetzt natürlich noch mal eine ganz andere Relevanz bekommt. Aber ich glaube nicht, dass die Relevanz neu ist, sondern sie war immer da. Sie wird einem nur plötzlich so sichtbar. Es ist ja nicht so, dass jetzt seit dem Ersten Weltkrieg kein Krieg mehr geherrscht hat, sondern da gab es immer Krieg. Vielleicht war uns das einfach nicht so bewusst in Europa. Und es ist vielleicht noch viel interessanter zu merken, dass man das gar nicht so stark mitbekommen hat. Da hat der Film vielleicht die Möglichkeit, noch mal eine Debatte aufzumachen.“
Und wie haben sie sich in diesen kriegsbegeisterten Jungen „eingefühlt“?
Felix Kammerer:
„Das ist tatsächlich eines der schwierigsten Dinge, weil ich den Militärdienst in Österreich verweigert habe. Ich habe Zivildienst gemacht. Da muss man sich erst mal ordentlich reinfuchsen, wenn man sagt, jetzt spiele ich eine Rolle, und die will unbedingt in den Krieg. Das zu durchblicken, was da in einem vorgeht, was man da wirklich will und wie die Ernüchterung stattfindet, wenn sie dann kommt. Das hat schon ein bisschen Vorarbeit gebraucht, aber ich hoffe, es hat gut funktioniert.
Wir hatten alle zusammen so ein Bootcamp in Prag. Mit dem Stunt-Team und mit einem Militärberater und haben uns ein bisschen an militärischen Drill gewöhnt. Ich hatte dann aber auch noch ein Sprach-Coaching, einen Schauspiel-Coach und Waffen-Coach. Also man wird von allen Seiten eingespannt um sich möglichst nah an diese Figur heranzubegeben.“
Das war vielleicht eine der größten Überraschungen – ein deutscher Film, der fast im Hollywood-Modus, dabei aber immer mit stringenter Effizienz vorgeht, Klischees vermeidet und aus jeder Szene ein Maximum an Wirkung generiert.
Neben euch Schauspielern, die ihr ja sozusagen durch den Albtraum hindurchmusstet, hatte Edward Berger diesen Albtraum irgendwie immer im Griff zu behalten. Was für ein Regisseur ist er?
Albrecht Schuch (spielt den Kat):
„Ich möchte sie ja gar nicht korrigieren, aber ich meine – Albtraum, das muss man differenzieren. Wir haben natürlich einen Film gemacht und wir wollten das natürlich auch immer. Und da waren ganz viele sehr nette Menschen, die sich darum gesorgt haben, dass wir warm genug stecken, dass es uns gut geht und wir unser Essen bekommen. Es war natürlich anstrengend, aber ich würde es vielleicht nicht mit „Albtraum“ definieren.
Edward Berger hat diesen Wahnsinns-Dreh, der natürlich wie oft zu wenig Tage hat für so einen massiven filmischen Apparat, durchgezogen. Mit einer Energie und einem auf Augenhöhe bestehenden künstlerischen Verfahren, das absolut Spaß gemacht hat und beeindruckend war. Wir haben uns beim selben Sport-Trainer vorbereitet. Es gab so einen Moment, da hat er sich selbst auch physisch vorbereitet, weil er neben vielen anderen inhaltlichen Geschichten einfach ein sehr guter Regisseur ist, der natürlich weiß, was es bedeutet, so ein Ding zu machen, ohne das vorher schon gemacht zu haben.“
Es gäbe noch viele Details, die da unbedingt zu rühmen wären. Da ist z.B. eine Filmmusik (Volker Bertelmann), die zusammen mit dem Sound eine ganz eigene Stimmung schafft und sich absolut von den gängigen Schlachtenmusiken unterscheidet. Oder das Szenenbild (Christian M. Goldbeck), das mit viel Gefühl für das Authentische diese sonst gern dekorativ platzierten Kreuze, Baumkrüppel oder Ruinen vermeidet – und das von einem vorzüglichen Kameramann (James Friend) in diesem Sinne präsentiert wird.
Mit seinem großartigen, überwiegend jungen Ensemble gelingt Edward Berger ein so eindrucksvolles Epos, wie man es sonst nur aus Hollywood kennt. Wie hat er das geschafft?
Edin Hasanović (spielt Tjaden):
„Das habe ich immer noch nicht so richtig verstanden, was Berger für ein Typ ist. Weil, wir stehen da am Set mit 400 Komparsen, 200 Menschen im Team und das sind große Schlachtszenen, wo unsereins durchdrehen oder zusammenklappen würde. Und Edward findet immer noch einen kleinen Raum, um uns ein Lächeln zuzuwerfen, um uns zu berühren. Er hatte im Vorbeigehen immer noch Zeit für einen kleinen Spaß am Set, um irgendwie auf andere Gedanken zu kommen. Er führt – und das finde ich bezeichnend für richtig gute Regisseure – er führt, ohne dass man merkt, dass man geführt wird.“
Die Waffenstillstandsverhandlungen wurden übrigens der Originalvorlage hinzugefügt und so überzeugend wie nachhaltig eingepasst.
Edward Berger:
„Da ist Matthias Erzberger, gespielt von Daniel Brühl, der die Friedensverhandlungen im Wald von Compiegne in einem Zug führt. Das ist im Grunde eine Ebene, die gibt es im Buch nicht, schafft aber für mich Kontrast und wirft auch ein Schlaglicht auf den Konflikt, der noch kommen wird: nämlich den Zweiten Weltkrieg. Was Remarque damals beim Verfassen des Romans einfach noch nicht wissen konnte.“
Erzberger agiert gegen den Widerstand der weiterhin kriegs-lüsternen Militärs, die da im Film räsonieren: „Das sind keine Verhandlungen, das ist ein Diktat!“ – Erzberger: „Was uns jetzt noch von einem Waffenstillstand trennt, ist nur noch falscher Stolz. Wir werden nun die Suppe auslöffeln, die Sie und ihre Feldherrn uns eingebrockt haben. Aber wenn sie lieber abreisen würden: bitte schön. Wir bleiben hier!“
Matthias Erzberger wurde übrigens schon 1921 von einer dieser damals auflebenden rechtsterroristischen Organisationen ermordet.
Interessanterweise ist dies nun die erste deutsche Verfilmung dieses bedeutenden deutschen Buches.
Edward Berger:
„Als ich den Vorschlag bekam, diesen Film zu machen, dachte ich sofort: Wieso ist da noch niemand drauf gekommen? Seit 90 Jahren gibt es dieses Buch und liegt im Grunde brach und keiner hat es gemacht. Nun wirft der erste Film sicherlich einen langen Schatten. Das ist ein amerikanischer Film, der wurde 1930 gemacht und war auch sehr erfolgreich und sehr gut und gilt immer noch als großer Film seines Genres.
Und das nochmal zu machen, ist natürlich auch eine Hürde. Uns war es aber wichtig, das aus deutscher Perspektive zu machen, in deutscher Sprache. Denn das ist ja auch ein deutsches Buch und es gibt keinen Grund, warum das auf erst auf Englisch gemacht werden muss. Weil wir eine andere Perspektive darauf haben: nämlich die Perspektive von zwei Kriegen, die wir angezettelt haben und wo wir ein Gefühl der Verantwortung und der Schuld mit uns herumtragen. Und das ist eine andere als eine amerikanische oder englische Perspektive, die auch ganz anders auf diesen Krieg zurückblicken.
Aber sicherlich hat es auch was mit den filmischen Möglichkeiten zu tun. Das ist keine billige Produktion und die kann man normalerweise eher auf Englisch in England oder Amerika machen. Es gibt halt selten die Möglichkeit, so was in Deutschland zu produzieren.“
IM WESTEN NICHTS NEUES wird für kurze Zeit in ausgewählten Kinos gezeigt und ist ab sofort bei Netflix als Stream verfügbar.