Der Film PELIKANBLUT erzählt von Wiebke (Nina Hoss), einer alleinerziehenden Adoptivmutter, die ein zweites Kind aus Bulgarien aufnimmt. Das Mädchen ist das auf erschreckende Weise traumatisiert und völlig emotionsunfähig ist. Die fünfjährige Raya wird die aufopfernde Mutter mit ihrem Verhalten bis an die Grenzen ihrer empathischen Möglichkeiten treiben – und die Zuschauer auf erschreckende Weise verunsichern. Als eine Freundin einmal zu Wiebke sagt: „Die muss weg!“, beginnt man sich auch vor der Leinwand diese Frage zu stellen. Irgendwann verliert man ohnehin den prüfenden Blick für die Realität. Man nimmt die Ereignisse, wie sie eben sind und den Film weniger als Dokument, sondern als ein Gleichnis, als eine Geschichte – eine nervenzerrende. Auch wenn das nicht einfach nur Horrorkino ist!
Nina Hoss über Regisseurin Katrin Gebbe:
„Sie hat das Buch geschrieben und ich finde, sie hat da eine unglaubliche Geschichte hingelegt. Das war schon mal das Erste. Dann war das Zweite, dass wir uns alle getroffen haben und praktisch als „Familie“ eine Woche verbracht haben, gespielt haben, über die Geschichte, den Film, geredet und geprobt. Sie wusste, was man unter uns an Vertrauensarbeit leisten muss, damit man sich dann am Drehort, wo meistens nicht so viel Zeit herrscht, aufeinander verlassen kann. Das fand ich unglaublich klug von ihr. Und dann, bei der Arbeit selber, weiß Katrin einfach, wonach sie sucht und gibt nicht auf – ein bisschen wie Wiebke – bis sie das auch gefunden hat. Sie hat eine Vision und sie verfolgt diese Vision!“
Der enorme gestalterische Anspruch, den so eine Story an die Regisseurin und ihre Mitarbeiter stellt, ist erstaunlich souverän bedient worden. Kamera, Schnitt, Musik etc. auf hohem Level. Und weit über das gewöhnliche Maß hinaus überzeugen die Darsteller. Vor allem Nina Hoss, die mit ihrem gewohnt intensiven Spiel, den Zuschauer in keinem Moment allein lässt. Schon um ihretwillen lohnt sich der Film. Neben ihr, die fünfjährige Raya (Katerina Lipovska) mit ihrem intolerablen Verhalten, das nicht einfach nur aus Geschrei und Aggression besteht. Man kann kaum glauben, dass so ein kleines Kind ein derartiges Bosheitsspektrum kreieren kann. Sie treibt das so glaubwürdig auf die Spitze, ist so souverän im Wechsel von intensivster Attacke zur gelassenen Unschuldigkeit, dass dem Zuschauer das Fürchten gelehrt wird.

Nina Hoss über ihr Filmkind Raya (Katerina Lipovska):
„Sie hat wegen der Sprachbarriere natürlich nicht alles verstanden, und man konnte ihr – das war das Glück für uns – eine andere Geschichte bauen, die dem Mädchen, das eine sehr, sehr talentierte Schauspielerin ist, den Schrecken nehmen konnte. Aber sie wusste immer, wann das Spiel anfängt und wo das Spiel aufhört. Es war uns auch wichtig, dass sie in so extreme Situationen hineingehen kann, dass sie das auch spielen will. Da haben wir ihr eine Geschichte gebaut: Raya möchte Tierärztin werden und sie muss verschiedene Prüfungen machen und dadurch manchmal auch den Tiger darstellen und deshalb muss sie schreien und solche Sachen machen… Und wenn sie das durchsteht, kriegt sie am Ende eine Urkunde, dass sie jetzt Tierärztin geworden ist. So konnten wir ihr den Schrecken dieser Geschichte ein bisschen wegnehmen. Ich musste dabei viel über meinen Beruf nachdenken, denn man erlebt die Dinge ja trotz allem, und letztendlich erlebt Raya permanent das Entsetzen auf das was sie tut. Sofort danach habe ich das aufgelöst und bin in ein Lachen gegangen. Was es natürlich für mich als Schauspielerin auch nicht so einfach macht, weil ich in der Situation des kompletten Entsetzens bleiben muss. Das war schon eine Herausforderung für uns alle. Aber vor allem war es uns wichtig, dass es Katerina gut geht und dass sie Spaß hat.“
Das Ambiente dieser Geschichte ist ein idyllischer Pferdehof, auf dem Wiebke Polizeipferde für den Einsatz in riskanter Umgebung trainiert und abhärtet. Das könnte (und ist wohl auch) symbolhaft gemeint sein für die fast trotzige Kämpferin Wiebke, die ein schwieriges Pferd ebenso wenig aufgeben kann wie ihre Adoptivtochter. Und Nina Hoss spielt die Pferdepassagen so, dass man gar nicht an die etwas überdeutliche Analogie denken muss.
Nina Hoss über die Arbeit mit Kindern und Tieren:
„Ich hab’s genossen – manchmal auch nicht. Es ist auch wahnsinnig anstrengend. Aber was es einem als Schauspielerin bringt, ist, dass ich gar nicht so viel Zeit hatte, mich mit mir zu beschäftigen. Diese Arbeit musste ich irgendwie vorher leisten. Das ist nicht so ganz mein Weg, zu arbeiten, aber da es nicht anders geht, war es für mich eine irre Erfahrung. Letztendlich spiegelt es ja wieder, was wir da erzählen: sowohl die Tiere haben mich herausgefordert, als auch die Kinder.“
PELIKANBLUT ist schon ein seltsamer und provokanter, aber vielleicht gerade deshalb sehenswerter Film. Regisseurin Katrin Gebbe bezieht sich mit dem Titel auf eine biologisch nicht verifizierbare Fabel aus der christlichen Ikonographie, nach der die Pelikanmutter sich die Brust aufreißt, um mit dem eigenen Blut ihre Brut zu retten. Wenn dann gegen Schluss die Geschichte zu einer kaum vorstellbaren „Lösung“ getrieben wird, teilen sich die Meinungen vermutlich. Ist aber auch nicht schlecht – so gibt es nach dem Film viel zu diskutieren.